Diese EU-Verfassung zementiert Militarisierung und Neoliberalismus

Interview in: der Funke, Nr. 55, April 2005

Im Mai soll der Entwurf einer EU-Verfassung von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Ende des Monats stimmt das französische Volk über die Verfassung ab. Über die Hintergründe sprachen wir mit Tobias Pflüger, MdEP. Er ist parteilos und wurde 2004 auf der Liste der PDS in das Europäische Parlament gewählt. Im Interview erklärt er, warum die Linksfraktion im Europäischen Parlament den vorliegenden EU-Verfassungsentwurf ablehnt und warum die PDS in den Landesregierungen standhaft bei ihrem beschlossenen „Nein“ bleiben sollte.

Die Linksfraktion im Europäischen Parlament lehnt den vorliegenden Entwurf einer europäischen Verfassung ab. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an diesem Entwurf? Warum sollten speziell engagierte Gewerkschafter ihn ablehnen?

Mit dem EU-Verfassungsvertrag wird die Militarisierung der EU festgeschrieben. Eine Aufrüstungsverpflichtung in Artikel I, 41, Absatz 3, die Festschreibung von Kampfeinsätzen der EU, eine Rüstungsagentur u.v.a.m. Ziel ist es, die EU zu einem Militärbündnis mit eigenen militärischen Kapazitäten zu machen. Zudem erhält der Neoliberalismus Verfassungsrang und die EU wird auf den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichtet. Soziale Belange und Beschäftigungspolitik werden der Wettbewerbspolitik untergeordnet. Die Finanzmittel für die Um- und Aufrüstung der EU-Armeen sowie für neue Kriege werden auch durch den Abbau von Sozialsystemen in den EU-Mitgliedstaaten erkauft. Die sozialen und gewerkschaftlichen Grundrechte in der EU-Grundrechtecharta werden durch beigefügte Erläuterungen ausgehöhlt und ihrer Wirksamkeit beraubt.

Aber manche meinen, es gäbe in diesem Entwurf auch positive Gesichtspunkte und daher sollte man im Interesse der europäischen Einheit seine Kritikpunkte zurückstellen.

Es gibt in dem 856 Seiten schweren EU-Verfassungsvertrag positive Gesichtspunkte. Aber diese stehen ja dort nicht ohne Zusammenhang. Die positiven Aspekte, die sich teilweise in erstem Teil und in der Grundrechtecharta finden, werden im dritten Teil, in den Erläuterungen und Protokollen ihrer Wirkung beraubt. So steht in dem Vertrag unter anderem, dass die Todesstrafe verboten ist. Weiter hinten steht dann, unter welchen Bedingungen trotzdem die Todesstrafe durchgeführt werden kann.

Manche vertreten die Ansicht, diese Verfassung wäre doch eh nur ein Stück Papier. Welche Konsequenzen für unser Alltagsleben hätte diese Verfassung, wenn sie so in Kraft treten würde?

Dieser EU-Verfassungsvertrag schreibt die Grundlagen für fast alle Politikbereiche fest. Ein Rechtsanwalt hat mir mal erläutert, wie er heute spürt, was damals im Maastricht-Vertrag als neoliberaler Grundtrend festgeschrieben wurde. Heute spüre er bei jedem Gesetz, mit dem er zu tun habe, wie der Maastrichtvertrag eine Grundlage dafür sei. Noch stärker wird dies mit dem EU-Verfassungsvertrag sein, da er in bestimmten Bereichen, wie der Militärpolitik, sehr detailreich die EU-Politik und die aller EU-Staaten regelt. Dazu wird dieser Vertrag mit dem Attribut „Verfassung“ versehen, um ihn unangreifbar zu machen.

Sie haben dazu aufgefordert, bei der Brüsseler Demonstration massiv gegen den Verfassungsentwurf zu protestieren. Was sollten jetzt, nach der Demonstration, die nächsten Schwerpunkte der Aktivitäten sein?

Als nächstes geht es darum, die Bemühungen der progressiven Verfechter des „Neins“ beim Referendum in Frankreich zu unterstützen. Die soziale und Friedensbewegung in Deutschland hat aber auch die Chance das durch die Situation in Frankreich hierzulande erwachende Interesse am EU-Verfassungsvertrag zu nutzen, um ihre Argumente gegen die neoliberale Politik der EU-Staatschefs und die Militarisierung der EU, die sich im Verfassungsvertrag zementieren, vorzubringen.

Sie haben alle Französisch sprechenden deutschen Linken dazu aufgerufen, sich in Frankreich an der Kampagne zum Referendum über die Verfassung zu beteiligen. Wie realistisch ist die Chance, den Entwurf durch ein französisches „Nein“ zu Fall zu bringen?

Die Voraussetzung ist, dass die Deutschen gewünscht und von französischen Linken eingeladen werden. Nach einer am 29. März im Pariser Figaro veröffentlichten Umfrage würde die EU-Verfassung derzeit mit 54 Prozent der Stimmen abgelehnt. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass viele Franzosen sehen, dass aus ihrer Ablehnung der Bolkestein-Richtlinie, die das europaweite Sozialdumping verstärken würde, auch eine Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages, der eine „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ vorschreibt, folgen muss.

Im Europawahlkampf hat sich die SPD mit der Parole „Frieden sichern“ als Friedenspartei dargestellt, die gegen den Irak-Krieg war und ist. Auch andere europäische Regierungen profilieren sich in der Irak- und Iran-Frage als „friedliebend“. Wie konsequent friedliebend sind die europäischen Regierungen und Abgeordneten im Europa-Parlament in Ihrer Wahrnehmung?

Von friedliebend kann keine Rede sein. Der Ausbau der EU zu einem zweiten militärisch basierten „Global Player“ ist massiv in Gange. Es werden neben dem „European Reaction Corps“ so genannte „Battle Groups“ geschaffen, die als Eliteeinheiten und Interventionstruppen in anderen Ländern kämpfen sollen. Alle EU-Regierungen wünschen dies so, insbesondere die der Staaten Kern-europas: Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des europäischen Parlaments wird die Rolle Europas als neue Militärmacht offen benannt. Böse Zungen reden deshalb auch von einem militaristischen Horrorladen. Als Mitglied des Unterausschusses sehe ich es als meine Aufgabe an, die Öffentlichkeit über diese bedrohliche Entwicklung aufzuklären und Widerstand dagegen mit zu mobilisieren.

Die Ablehnung der EU-Verfassung war bisher ein Markenzeichen der PDS. Wird es nach Ihrer Auffassung dabei bleiben?

Die Beschlusslage der PDS ist eindeutig. Es könnte allerdings in diesen Beschluss noch mehr Leben hinein kommen. Etwas zu beschließen ist das eine, es wirklich zu wollen und auch dafür etwas zu tun, das andere. Da muss und wird wohl auch derzeit in der PDS nachgearbeitet. Es ist jetzt von zentraler Bedeutung, auch für die Referenden in den anderen EU-Ländern, dass die PDS-Vertreter in den Landesregierungen mit Nein stimmen, damit sich diese Bundesländer dann bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten. Die Berliner PDS erklärt, die Senatoren würden „nicht zustimmen“, die Entscheidung „jedoch nicht zur Koalitionsfrage erheben“. Ich würde mir wünschen, dass die Berliner PDS hier noch zu einer konsequenteren Position kommt. Ich finde es gut und wichtig, dass es innerhalb und außerhalb der PDS schon viel Druck auf die Berliner Senatoren gibt, dieser Druck muss aber noch verstärkt werden. Diese Frage ist eine der Glaubwürdigkeit der PDS, das sage ich als jemand, der der PDS bekanntlich nicht angehört.

Quelle: http://www.derfunke.de/...

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