»Tödliche Logik« - Zum Verhältnis der PDS und ihrer Bundestagsfraktion zum Einsatz von UN-Truppen in Krisenregionen. Diskussionspapier von Sylvia-Yvonne Kaufmann
junge Welt - 25.10.1999
* Nachfolgend dokumentieren wir ein Diskussionspapier zum »Einsatz von UN-Truppen in Krisenregionen« der Europaabgeordeten der PDS Sylvia-Yvonne Kaufmann. Dieser Beitrag wurde letzte Woche auf der Klausurtagung der PDS-Bundestagsfraktion als Gegenpapier zur Vorlage von Gregor Gysi (jW vom 20. und 21. Oktober) diskutiert. *
Die PDS hat sich kontinuierlich zu einer antimilitaristischen Partei entwickelt und auf dieser Grundlage ihre Akzeptanz in der Gesellschaft erhöht. Während SPD und Bündnisgrüne ihre Ablehnung militärischer Interventionen schrittweise zurücknahmen und nach Antritt der rosa-grünen Bundesregierung zur offensiven militärischen Interventionsbefürwortung übergingen, stärkte die PDS ihr friedenspolitisches Profil gerade während des Balkankrieges der NATO. Unsere Partei wurde so zur einzigen im Bundestag vertretenen Partei, die klar und unüberhörbar Nein zum Krieg der NATO gegen Jugoslawien gesagt hat und damit erstmals in einer außen- und sicherheitspolitischen Frage - der zentralen Frage von Krieg und Frieden - bundesweit von vielen Menschen als einzige politische Alternative wahrgenommen wurde. Ihre konsequente Antikriegspolitik war für viele Wählerinnen und Wähler der Grund, sich bei den Europawahlen, bei den Wahlen zu den Landtagen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen, den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen und den Berliner Abgeordnetenhauswahlen für die PDS zu entscheiden. Unser Nein zum Krieg der NATO erschöpfte sich nicht in der Rechtsargumentation, daß die NATO Völkerrecht verletzte, sondern begründete sich zuallererst in unserer seit Jahren fixierten Position, daß wir Krieg bzw. die Anwendung militärischer Mittel zur Lösung von Konflikten ablehnen.
Die PDS lehnt also nicht nur Militärinterventionen »im Prinzip« ab, sondern bestreitet generell, daß militärische Aktionen zur Konfliktbewältigung geeignet sind. Sie setzt sich dafür ein, daß gegen derlei »Konfliktlösungsstrategien« zivile Mediationen von Konflikten gestärkt und entwickelt werden. Um als fernes Ziel eine Welt ohne Armeen und Waffen zu verwirklichen, ist uns bewußt, daß die präventive Konfliktvorbeugung einen außerordentlich hohen Stellenwert besitzen muß. Das heißt aber nicht nur gewaltfreie Konfliktlösungen und Abrüstung von Soldaten und Waffen zu befördern, sondern auch im nationalstaatlichen wie im Rahmen supranationaler Organisationen darauf hinzuwirken, daß die Quellen gewaltsam ausgetragener Konflikte, wie weltweite soziale Ungerechtigkeit, eine zutiefst ungerechte Weltwirtschaftsordnung und generell die krasse Ungleichheit menschlicher Lebenschancen, auf dieser Welt beseitigt werden. Als Teil einer Politik der »Kriegsvorbeugung« stehen vor allem unsere Forderungen nach einer Demokratisierung und Stärkung der UNO, insbesondere auf ihrem bislang vernachlässigten sozialen Feld, und der OSZE.
Zugleich sind wir nicht zuletzt nach unseren jüngsten Wahlerfolgen und einer in Ansätzen beginnenden Konsolidierung als bundesweite sozialistische Partei zunehmend gefordert, auch überzeugende alternative Positionen zu aktueller Politik zu beziehen. Das heißt: Wir müssen auf konkrete Situationen reagieren, so wie bei der jüngsten Abstimmung im Bundestag zur Entsendung von Bundeswehrsanitätern nach Osttimor bzw. nach Darwin, Australien. Wir müssen im Auge behalten, daß ähnliche Abstimmungen und Herausforderungen uns auch in Zukunft begleiten werden. Die PDS und ihre Bundestagsfraktion brauchen daher auch im Hinblick auf kommende militärische Interventionen unter Beteiligung deutscher Soldaten Antworten, die allgemeine Maßstäbe aufstellen, um den besonderen Situationen (zum Beispiel beim Schutz menschlichen Lebens) besser gerecht werden zu können und um andererseits nicht dem herrschenden Diskurs der Interventionslegitimation mittelfristig zum Opfer zu fallen. Die veränderten Positionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, einschließlich die Geschichte ihrer Erosion, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten, müssen uns warnendes Beispiel sein.
Zur gemeinsamen Verständigung scheint es mir deshalb unerläßlich, uns selbst über verständliche Hoffnungen im Hinblick auf die UNO und von ihr kommandierte militärische Konfliktlösungen nach Kapitel VII der UN-Charta zu »ent-täuschen«.
1. Völkerrecht und »Gewaltmonopol« der UN
Eine der großen Illusionen, mit denen der herrschende Diskurs zur Schaffung von militärischer Interventionsakzeptanz arbeitet, ist die Vorstellung, die UNO besitze ein Gewaltmonopol, bzw. die Errichtung eines UN-Gewaltmonopols trage weltweit zur Lösung von Konflikten bei.
Die UNO wurde vor fast 44 Jahren am 24. Oktober 1945 gegründet. Sie sollte sowohl ein zweiter Versuch nach dem Scheitern des Völkerbundes sein, Frieden und Sicherheit weltweit zu bewahren, als auch eine Antwort auf die Aggression Nazi-Deutschlands, insbesondere die massive Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte durch den deutschen Faschismus und den japanischen Militarismus. Für die Nachkriegszeit wurde die integrierende Wirkung darin gesehen, daß die Organisation ein effektives Bündnis aller »friedliebenden Staaten« gegen einen potentiellen Aggressor werden sollte. Jede den Frieden bedrohende Gewaltanwendung wurde deshalb durch die Charta untersagt. Nach Art. 2 verpflichteten sich alle Mitglieder, auf jede Anwendung oder Androhung von Gewalt in ihren internationalen Beziehungen zu verzichten und die UNO bei Sanktionsmaßnahmen nach Kapitel VII, Artikel 39 bis 51 (bis hin zur militärischen Intervention) aktiv zu unterstützen, falls andere Bemühungen zur Beilegung friedensbedrohender Maßnahmen erfolglos bleiben (Vgl. hierzu in Kapitel VI, Artikel 33 bis 38, insbesondere Artikel 33 Abs. 1, wonach sich die Streitparteien zunächst um eine Beilegung durch »Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl« bemühen).
Diesen Vorstellungen, denen das rechtliche Konstrukt der souveränen Gleichheit der Staaten entspricht, stand im Gründungszeitraum und auch später eine unterschiedliche Verteilung der realen Macht gegenüber, u. a. ausgedrückt durch die militärische Stärke sowie Ungleichheiten in der sozialen und ökonomischen Entwicklung der einzelnen Staaten. Über die Anwendung von Kapitel VII entscheidet der UN-Sicherheitsrat.
Während des Ost-West-Konflikts war dies nur einmal der Fall, als der Vertreter der Sowjetunion wegen Abwesenheit nicht sein Veto im Sicherheitsrat gegen die Intervention der USA und der anderen verbündeten Staaten im Korea-Krieg einlegte. Seit 1989/91 hat sich die Zahl der militärischen Interventionen mit dem Placet von (oder Hinweis auf) Kapitel VII der UN-Charta stark erhöht.
Die UNO selbst hat kein Gewaltmonopol. Sie verfügt weder über ein Territorium, auf dem dieses auszuüben wäre, noch über eigene Streitkräfte, die sie selbst alimentiert und ausrüstet. Das heißt, die UNO bzw. der UN-Sicherheitsrat legitimieren lediglich Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen, und zwar nur in besonderen Fällen. So geschehen beim ersten und exemplarischen Fall vor dem zweiten Golfkrieg. Der damalige US-Präsident Bush feierte diese Legitimierung als Beginn einer »neuen Weltordnung«.
Die PDS hat sich damals mit Recht gegen die Aushöhlung und Instrumentalisierung der UN-Charta gewandt. Sie hat die diesen Krieg begleitende moralische Aufrüstung und Legitimationserheischung (»Saddam ist Hitler«) zurückgewiesen. Schon damals wurden Stimmen laut, die ihre Zustimmung zur Intervention als Schritt zu einer eigenen UN-Streitmacht verstanden wissen wollten: »Das stärkste Argument für die Möglichkeit eines Waffeneinsatzes am Golf«, so schrieb Jürgen Habermas am 15. Februar 1991 in »Die Zeit«, »besteht darin, daß die USA und deren Verbündete nach Beendigung des Kalten Krieges die Chance haben, stellvertretend und vorübergehend die neutrale Rolle einer heute noch fehlenden Polizeistreitmacht der UNO zu übernehmen. Unter dieser Mitterrandschen Prämisse könnte ein Einsatz am Golf den ersten Schritt zu einer weltbürgerlichen Ordnung markieren. Die Politik der Nichtverbreitung nuklearer (und fast ebenso gefährlicher biologischer) Waffen ist gescheitert. Deshalb muß die UNO mit einer verläßlichen und wirkungsvollen Exekutivgewalt ausgestattet werden. Denn in einer durch extreme Ungleichverteilung der Lebenschancen bestimmten Weltgesellschaft werden Erpressungen und irrationale Drohungen globalen Ausmaßes immer wahrscheinlicher.«
In ihrem Buch »Weltökonomie. Die Misere der Politik« haben Wolf-Dieter Narr und Alexander Schubert 1994 auf diese Hoffnungen geantwortet:
»Würde so argumentiert, dann müßten in diesem Weltstaat zuallererst die Ungleichheiten eingeebnet werden, deren Struktur Habermas zufolge die kriegerischen Konflikte erzeugt, die weltpolizeilich domestiziert werden sollen. Die Mindestvoraussetzung eines nicht despotischen und nicht einseitigen Herrschaftsinteressen genügenden Weltstaats - einmal angenommen, ein solcher wäre auch aus anderen demokratisch-menschenrechtlichen Gründen wünschenswert und unter heutigen Bedingungen möglich - bestünde also in einem strukturellen Ausgleich, in der Beseitigung dessen, was Johann Galtung >strukturelle Gewalt< genannt hat. Wählt man den zweiten Schritt vor dem ersten, ruft man voraussetzungslos nach einem Weltgewaltmonopol, von dem in Deutschland auch die Sozialdemokratische Partei gesprochen hat. Dann muß man sich den Vorwurf gefallen lassen, den UNO-weit schwingenden blauen Mantel des Allgemeininteresses um höchst einseitige Interessen mächtiger Staaten zu hüllen. Diese wollen vor allem mit Hilfe des legitimatorisch beanspruchten Weltmonopols die Struktur der Ungleichheit erhalten. Die Konsequenz daraus wäre, daß Herrschaft und Gewalt, auch und gerade gegen den einseitigen Anspruch der blau gewendeten Weltmächte, zunähmen. Die erniedrigten Staaten könnten nicht anders, als sich immer neu gegen eine einseitig etablierte Weltmacht zu erheben.« (S. 238)
Die angesprochenen Weltmächte haben die Nutzung des Kapitels VII der UN-Charta zur Legitimierung ihrer Interventionen sehr weit getrieben, auch wenn sie im »Fall Jugoslawien« darauf verzichten mußten. In Somalia brachte die von der UNO legitimierte Streitmacht 1993 über zehntausend Somalierinnen und Somalier zu Tode. Die allermeisten von ihnen Zivilisten. Sie war einmarschiert, um einen Völkermord durch Hunger zu verhindern. Aber sie ließ auch nicht von ihrem Vorhaben ab, als bekannt wurde, daß sich die Versorgungslage bereits vor ihrem Eintreffen erheblich verbessert hatte.
Die Invasion in Somalia war mithin Teil der neuen Völkerrechtssetzung durch vorgebliche Rechtsdurchsetzung der USA und der Bundesrepublik nach Kapitel VII der UN-Charta. Die Charta der Vereinten Nationen behindert die USA und ihre Juniorpartner nur unwesentlich. Zum einen wird sie aktiv genutzt, um sich im Namen von Menschenrechten und der Verhinderung von Völkermord als weltweite Ordnungsmacht zu etablieren. Zum anderen, falls es noch Widerspruch im UN-Sicherheitsrat gegen geplante Interventionen geben sollte, wird massiver ökonomischer Druck über Kreditvergaben (zum Beispiel auf Rußland während des Balkankrieges) ausgeübt, um zumindest die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zu den Ergebnissen des Militärschlags und deren legitimatorischer Absicherung zu erhalten.
Die PDS sollte deshalb in erster Linie die Instrumentalisierung der UN-Charta durch Groß- und Mittelmächte auf der einen Seite offenlegen und kritisieren. Andererseits müßte sie generell darauf hinweisen, daß Kapitel VII als absolute Notfallregelung gegen einen »Aggressor« konzipiert worden war und nicht als Regelfall der Legitimierung von Interventionen bei Massakern oder Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung.
Es ist weiterhin absolut notwendig, zur Kenntnis zu nehmen, daß das in der Phase des Kalten Krieges entwickelte Instrumentarium der friedenserhaltenden Aktionen (Blauhelme) nicht in der Charta enthalten ist. Bis 1987 gab es 13 solcher Missionen, danach bisher weitere 28 »Friedensoperationen« - u. a. seit 1989 Angola, 1991 bis 95 EI Salvador, seit 1991 Westsahara, 1992 bis 95 Kroatien/Bosnien 1991 bis 93 Kambodscha, 1993 bis 96 Ruanda. Nach den enttäuschenden Ergebnissen vor allem in Somalia (UNOSOM I und II) und im ehemaligen Jugoslawien (UNPROFOR) aufgrund mangelnden Engagements der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und vorhandener Differenzen unter ihnen wurden die Grenzen des Einsatzes von UN-Blauhelmen sichtbar, im Falle Jugoslawiens erfolgte dann 1996 eine Übertragung des Mandats an eine »NATO-Friedensstreitmacht« auf der Grundlage des Kapitel III der UN-Charta. Mehrfach haben Friedens- und Konfliktforscher darauf hingewiesen, daß bislang in keinem einzigen Konflikt, welche vielfältigen Ursachen er auch immer hatte, vor einem Einsatz militärischer Mittel alle möglichen friedlichen Mittel für Konfliktbeilegung hinreichend ausgeschöpft worden sind.
Sollte sich die PDS dafür aussprechen, friedenserzwingende Missionen der UN bzw. von der UN legitimierte Missionen zu rechtfertigen und zu unterstützen, wäre der bisherigen Praxis der herrschenden Mächte nur eine neue Rechtfertigung von links zugewachsen.
2. Aufgaben der PDS angesichts der zunehmenden Militarisierung der internationalen Beziehungen
Zum 50. Jahrestag der Gründung der UNO erklärte der Parteivorstand der PDS: »Der in der Charta verankerte Auftrag, >künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren<, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, daß Streitigkeiten friedlich beigelegt werden und die Androhung und Anwendung von Gewalt unterbleibt, ist nicht erfüllt. Weit entfernt ist die UNO von der Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben, die, in der Charta gestellt sind. Nach Art. 55 ist ein >Zustand der Stabilität und Wohlfahrt< erforderlich, damit friedliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen herrschen. Dazu gehören die Achtung und Verwirklichung der Grundfreiheiten, aber auch die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg.«
Gerade der soziale Teil der Charta schlummert in einer Art Dornröschenschlaf vor sich hin. Nehmen wir aber die Analysen ernst, die weltweite soziale Ungleichheit als eine der Hauptursachen für bewaffnete Konflikte benennen, so können wir nicht länger nur auf eine Politik der zivilen Konfliktprävention setzen, sondern müssen Stimme auch gegen die globale soziale Ungerechtigkeit werden. Daraus folgt: Wir müssen mit entsprechenden Konzepten in die Öffentlichkeit gehen und nicht internationalen Brandstiftern noch mehr Benzin für ihre Feuerlöschaktionen nachtragen.
Eine Demokratisierung der UN ist auf diesem Weg nur ein erster Schritt. Vor allem muß sich die PDS dafür einsetzen, daß auch in der jetzigen Situation der Übermacht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und der wachsenden Verhandlungsmacht der größten Zahler (USA 25 Prozent, Japan 15,65 Prozent, Deutschland, 9,06 Prozent) minimale demokratische Standards in den Vereinten Nationen gewahrt bleiben.
Die de jure und de facto Errichtung eines »Gewaltmonopols« der UN wäre unter den jetzigen globalen Bedingungen und der in ihnen herrschenden Machtverhältnisse geradezu ein Fanal zum weltweit bewaffneten Konflikt. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, daß der »Kuchen« nur einmal aufgeteilt werden kann. Wer also internationale Streitkräfte unter UN-Oberbefehl fordert, muß wissen, daß er damit eine beispiellose Aufrüstung auf der Ebene der Vereinten Nationen in Gang setzen würde. Die finanziellen Mittel, die für die Aus- und Aufrüstung dieser Truppe zur Verfügung gestellt werden müßten, würden zum Beispiel für tatsächlich humanitäre Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen. Erinnert sei nur an die Kosten, die eine schon hochgerüstete Bundeswehr in Somalia verbraten hat, für wenige Monate über 300 Millionen DM. Das für die Bundeswehr geplante Aufrüstungsprogramm für Auslandseinsätze von 20 bis 40 Milliarden DM in den nächsten zehn Jahren würde, auf die internationale Ebene übertragen, ein Vielfaches der Kosten betragen.
Von daher stellt sich die Frage: Kann die PDS aus ihrer friedenspolitischen Verantwortung heraus dies fordern? Die UNO zu stärken heißt doch nicht, ihr ein kostspieliges Gewaltmonopol aufzudrücken oder sich daran zu beteiligen, Kapitel VII der UN-Charta im Sinne eines Regelfalls auszulegen, sondern sich zu engagieren, daß im Rahmen von UNO und OSZE die präventiven konfliktverhindernden Maßnahmen gestärkt werden und international Druck gemacht wird, um eine demokratische, sozial gerechte Welt- und Weltwirtschaftsordnung zu erreichen. Waffenexporte, Aufrüstungsprogramme und dergleichen müßten weltweit geächtet werden. Das wären langfristig zu erreichende Ziele, auf die die PDS zusammen mit anderen internationalen linken Organisationen hinarbeiten könnte und sollte.
3. Die »Sonderfälle« Ruanda und Osttimor
Mit der Konstruierung von Sonderfällen beginnt die Etablierung des Regelfalls, so könnte man die Strategie erst der konservativ-liberalen Regierung und dann die nachholende Entwicklung bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschreiben. Verteidigungsminister Volker Rühe hat diese Strategie schon 1990 in Worte gefaßt. Es komme darauf an, so erklärte er, die deutsche Gesellschaft wieder an die Präsenz deutscher Soldaten im Ausland zu gewöhnen. Er formulierte es sogar noch deutlicher, es komme darauf an, die deutsche Gesellschaft binnen zehn Jahren wieder »kriegsfähig« zu machen. Auf dieses Ziel war seit der deutschen Vereinigung eine ganze Public-Relations-Kampagne gerichtet, die zum einen den Bundeswehrsoldaten als »Helfer, Schützer und Retter« ins Bewußtsein der Menschen bringen sollte. Zum anderen sollte dieses Bild durch »humanitäre« Auslandseinsätze (Kambodscha und Somalia) und »humanitäre« Inlandseinsätze (Kampf gegen das Oder-Hochwasser) eine reale Projektionsfläche erhalten. Wir müssen feststellen, daß diese Strategie zumindest in Teilen der Gesellschaft Wurzeln geschlagen hat. Die PDS hat sich seit 1989 immer gegen diese Einsätze gewandt und versucht, diese als mediale Strategie der Regierenden zu entlarven, um schließlich wieder Kriegs- und Kampfeinsätze von deutschem Boden aus mitführen zu können.
Jetzt kommt aus der PDS selbst die Forderung, Ruanda und Osttimor zu Sonderfällen zu machen, in denen deutsche Soldaten (ob als Teil eines UN- »Gewaltmonopols« oder nicht) durch die UN-Charta Kapitel VII legitimiert zur Waffe greifen und intervenieren sollten (Position von Wolfgang Gehrcke).
Dazu könnte es hilfreich sein, sich die Konfliktgenese in diesen beiden Regionen und die Gründe für die Nichtintervenention bzw. Intervention internationaler Streitkräfte noch einmal anzuschauen. Denn beide erscheinen mir beispielhaft für die Rechtfertigung des neuen Interventionismus und für die Legitimierung von Militärgewalt als Mittel der Politik in den internationalen Beziehungen, als ultima ratio, als äußerstes nicht letztes politisches Mittel der Groß- und Mittelmächte dieser Welt.
In Ruanda hatte Frankreich, ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, die Hutu-Regierung seit 1990 massiv unterstützt, obwohl bereits Berichte über bevorstehende Massaker der Hutu-Regierung an den Tutsis vorlagen. Selbst noch am Ende der Massaker 1994 intervenierte Frankreich, das sich als Führungs- bzw. Einflußmacht in dieser Region versteht, militärisch in Ruanda, um die Reste der Hutu-Regierung zu stützen. Eine Intervention nach Kapitel VII hätte folglich den Machtinteressen eines ständigen Sicherheitsratsmitglieds widersprochen. Sie wäre damit schlicht unmöglich gewesen.
Die Annektion Osttimors durch Indonesien wurde zuallererst von Australien, der regionalen Vormacht, anerkannt, die heute das Gros der Interventionstruppen stellt. Für die Massaker nach dem Einmarsch indonesischer Truppen 1976 hatten die USA grünes Licht gegeben. Auch die Bundesrepublik Deutschland pflegte immer besonders gute Beziehungen zur indonesischen Diktatur. Vergessen wir nicht die massiven Waffenlieferungen, die Übersendung von Resten der DDR-Marine an Indonesien oder Schönbohms Polizei- und Ausbildungshilfe für Jakarta. Die Mächte also, die die Brände mit legten und schürten, betätigen sich heute als Feuerwehr.
In Ruanda wie in Osttimor zeigt sich, daß imperiale Machtinteressen über (Nicht-)Intervention bzw. Intervention das Verhalten gegenüber Massakern bestimmen. Ein UN-Gewaltmonopol würde daran auf absehbare Zeit nichts ändern, es hätte nur eine erhöhte Legitimierungsfunktion für die jeweiligen (Nicht- )Interventionen bzw. Interventionsmächte.
Schlußbemerkungen
Die PDS sollte nicht auf den Zug aufspringen. Sie sollte sich nicht an einer Uminterpretation der UN-Charta, speziell von Kapitel VII, beteiligen. Wir dürfen uns keine Illusionen über den Nutzen der Errichtung eines UN- Gewaltmonopols angesichts der jetzigen globalen Machtverhältnisse und der undemokratischen UN- Strukturen für die Zivilisierung der internationalen Beziehungen machen. Das Motto »Nie wieder Krieg ohne deutsche Soldaten«, das die jetzige rosa-grüne Regierung schon versucht, in die Tat umzusetzen, wäre dann zwingende Notwendigkeit unter dem legitimatorischen Deckmantel der Durchsetzung des UN-Gewaltmonopols.
Die Fragen, denen sich die PDS wieder und wieder stellen muß, können nur lauten: Wie kann ein Einsatz militärischer Gewalt zur Lösung von Konflikten verhindert werden? Welche politischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um Konflikte unmöglich zu machen bzw. rechtzeitig einzudämmen usw. In dem Moment, wo wir die militärische Gewaltanwendung als Möglichkeit generell ausschließen, kommen wir dann logischerweise auch gar nicht erst zur Fixierung von Bedingungen für militärische Mittel, sondern hinterfragen, welche ausschließlich zivilen bzw. nichtmilitärischen Möglichkeiten es gibt.
Hier liegt die eigentliche politische Herausforderung für die PDS. Wir müssen - und dazu kann die Bundestagsfraktion viel beitragen - theoretisch, politisch- strategisch und auch in der praktischen Alltagspolitik bezogen auf ganz konkrete Konfliktsituationen überzeugende und realistische alternative Politikvorschläge formulieren. Das ist zugegebenermaßen nicht einfach, schon gar nicht im heutigen internationalen Umfeld und in einem Land, in dem außer der PDS inzwischen alle relevanten politischen Kräfte Krieg oder militärische Gewalt als Mittel der Politik als legitim und deutsche Soldaten im Ausland als normal ansehen.
Nach wie vor zu bedenken ist, was André Brie vor einiger Zeit zu diesem Thema schrieb: »Realismus ist notwendig hinsichtlich der Wege, hinsichtlich der Gewinnung von Mehrheiten gegen Militarismus und Militär. Realismus nach ein paar Jahrtausenden Krieg und all seinen >Legitimierungen<, erst recht unter den heutigen Welt- und Waffenbedingungen, kann aber auch nur noch eine konsequente und kompromißlose Ablehnung des Krieges, jeden Krieges bedeuten. Auch der >gerechteste< Krieg, auch Krieg, der tatsächlich und nicht nur angeblich auf Friedenserhaltung gerichtet wäre, trägt dazu bei, daß eine >tödliche< Logik der Militarisierung der Gesellschaft, Politik und Denken fortgesetzt wird. Wenn nicht endlich dieser Weg von Ursache-Folge-Ursache, Aktion-Reaktion-Aktion durchbrochen wird, läßt sich der globale sicherheitspolitische GAU nicht mehr abwenden. Daß das schwierig ist angesichts der westlichen Kriegs- und Rüstungsinteressen, ändert nichts an der Notwendigkeit für die Linke, die PDS eingeschlossen, zivilen und pazifistischen Lösungen Gewicht zu verleihen. Die PDS - auch im Bundestag - ist gut beraten, wenn sie sich den Kompliziertheiten eines gesellschaftlich und politisch realisierbaren Pazifismus widmet.«
P.S.: Im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr davon zu sprechen, daß wir es uns »nicht einfach machen« dürften und die Bundesrepublik nicht mit jenem Deutschland gleichgesetzt werden könne, das den Ersten bzw. Zweiten Weltkrieg auslöste (S. 10 des Diskussionspapiers von Gregor Gysi), halte ich für eine bedenkliche Argumentation. Die ihr zugrunde liegende Logik will sich mir nicht erschließen. Als Linke, denke ich, sind wir gut beraten, uns an den soeben geehrten deutsch-amerkanischen Historiker Stern zu halten. Er hatte in seiner Festrede bei der Verleihung des diesjährigen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels betont, jegliches Ausweichen in »Normalität« sei vergeblich, und hinzugefügt, es gebe »kein Ende der Geschichte, auch keinen Schlußstrich, keinen völlig neuen Anfang«. Wie hochaktuell diese Frage ist, erleben wir in der europäischen Tagespolitik. So verwies der finnische Minister Kimmo Sasi beim jüngsten EU- Sondergipfel in Tampere mit Blick auf das in der Tat rüde Verhalten von Bundeskanzler Schröder (z. B. Sprachenstreit und Hombach-Ernennung) darauf, daß sich die heutige Regierung arroganter als ihre Vorgängerin verhalte. Kohl habe bei seiner Politik immer die Folgen der deutschen Aggression während des Zweiten Weltkrieges bedacht.
* Nachfolgend dokumentieren wir ein Diskussionspapier zum »Einsatz von UN-Truppen in Krisenregionen« der Europaabgeordeten der PDS Sylvia-Yvonne Kaufmann. Dieser Beitrag wurde letzte Woche auf der Klausurtagung der PDS-Bundestagsfraktion als Gegenpapier zur Vorlage von Gregor Gysi (jW vom 20. und 21. Oktober) diskutiert. *
Die PDS hat sich kontinuierlich zu einer antimilitaristischen Partei entwickelt und auf dieser Grundlage ihre Akzeptanz in der Gesellschaft erhöht. Während SPD und Bündnisgrüne ihre Ablehnung militärischer Interventionen schrittweise zurücknahmen und nach Antritt der rosa-grünen Bundesregierung zur offensiven militärischen Interventionsbefürwortung übergingen, stärkte die PDS ihr friedenspolitisches Profil gerade während des Balkankrieges der NATO. Unsere Partei wurde so zur einzigen im Bundestag vertretenen Partei, die klar und unüberhörbar Nein zum Krieg der NATO gegen Jugoslawien gesagt hat und damit erstmals in einer außen- und sicherheitspolitischen Frage - der zentralen Frage von Krieg und Frieden - bundesweit von vielen Menschen als einzige politische Alternative wahrgenommen wurde. Ihre konsequente Antikriegspolitik war für viele Wählerinnen und Wähler der Grund, sich bei den Europawahlen, bei den Wahlen zu den Landtagen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen, den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen und den Berliner Abgeordnetenhauswahlen für die PDS zu entscheiden. Unser Nein zum Krieg der NATO erschöpfte sich nicht in der Rechtsargumentation, daß die NATO Völkerrecht verletzte, sondern begründete sich zuallererst in unserer seit Jahren fixierten Position, daß wir Krieg bzw. die Anwendung militärischer Mittel zur Lösung von Konflikten ablehnen.
Die PDS lehnt also nicht nur Militärinterventionen »im Prinzip« ab, sondern bestreitet generell, daß militärische Aktionen zur Konfliktbewältigung geeignet sind. Sie setzt sich dafür ein, daß gegen derlei »Konfliktlösungsstrategien« zivile Mediationen von Konflikten gestärkt und entwickelt werden. Um als fernes Ziel eine Welt ohne Armeen und Waffen zu verwirklichen, ist uns bewußt, daß die präventive Konfliktvorbeugung einen außerordentlich hohen Stellenwert besitzen muß. Das heißt aber nicht nur gewaltfreie Konfliktlösungen und Abrüstung von Soldaten und Waffen zu befördern, sondern auch im nationalstaatlichen wie im Rahmen supranationaler Organisationen darauf hinzuwirken, daß die Quellen gewaltsam ausgetragener Konflikte, wie weltweite soziale Ungerechtigkeit, eine zutiefst ungerechte Weltwirtschaftsordnung und generell die krasse Ungleichheit menschlicher Lebenschancen, auf dieser Welt beseitigt werden. Als Teil einer Politik der »Kriegsvorbeugung« stehen vor allem unsere Forderungen nach einer Demokratisierung und Stärkung der UNO, insbesondere auf ihrem bislang vernachlässigten sozialen Feld, und der OSZE.
Zugleich sind wir nicht zuletzt nach unseren jüngsten Wahlerfolgen und einer in Ansätzen beginnenden Konsolidierung als bundesweite sozialistische Partei zunehmend gefordert, auch überzeugende alternative Positionen zu aktueller Politik zu beziehen. Das heißt: Wir müssen auf konkrete Situationen reagieren, so wie bei der jüngsten Abstimmung im Bundestag zur Entsendung von Bundeswehrsanitätern nach Osttimor bzw. nach Darwin, Australien. Wir müssen im Auge behalten, daß ähnliche Abstimmungen und Herausforderungen uns auch in Zukunft begleiten werden. Die PDS und ihre Bundestagsfraktion brauchen daher auch im Hinblick auf kommende militärische Interventionen unter Beteiligung deutscher Soldaten Antworten, die allgemeine Maßstäbe aufstellen, um den besonderen Situationen (zum Beispiel beim Schutz menschlichen Lebens) besser gerecht werden zu können und um andererseits nicht dem herrschenden Diskurs der Interventionslegitimation mittelfristig zum Opfer zu fallen. Die veränderten Positionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, einschließlich die Geschichte ihrer Erosion, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten, müssen uns warnendes Beispiel sein.
Zur gemeinsamen Verständigung scheint es mir deshalb unerläßlich, uns selbst über verständliche Hoffnungen im Hinblick auf die UNO und von ihr kommandierte militärische Konfliktlösungen nach Kapitel VII der UN-Charta zu »ent-täuschen«.
1. Völkerrecht und »Gewaltmonopol« der UN
Eine der großen Illusionen, mit denen der herrschende Diskurs zur Schaffung von militärischer Interventionsakzeptanz arbeitet, ist die Vorstellung, die UNO besitze ein Gewaltmonopol, bzw. die Errichtung eines UN-Gewaltmonopols trage weltweit zur Lösung von Konflikten bei.
Die UNO wurde vor fast 44 Jahren am 24. Oktober 1945 gegründet. Sie sollte sowohl ein zweiter Versuch nach dem Scheitern des Völkerbundes sein, Frieden und Sicherheit weltweit zu bewahren, als auch eine Antwort auf die Aggression Nazi-Deutschlands, insbesondere die massive Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte durch den deutschen Faschismus und den japanischen Militarismus. Für die Nachkriegszeit wurde die integrierende Wirkung darin gesehen, daß die Organisation ein effektives Bündnis aller »friedliebenden Staaten« gegen einen potentiellen Aggressor werden sollte. Jede den Frieden bedrohende Gewaltanwendung wurde deshalb durch die Charta untersagt. Nach Art. 2 verpflichteten sich alle Mitglieder, auf jede Anwendung oder Androhung von Gewalt in ihren internationalen Beziehungen zu verzichten und die UNO bei Sanktionsmaßnahmen nach Kapitel VII, Artikel 39 bis 51 (bis hin zur militärischen Intervention) aktiv zu unterstützen, falls andere Bemühungen zur Beilegung friedensbedrohender Maßnahmen erfolglos bleiben (Vgl. hierzu in Kapitel VI, Artikel 33 bis 38, insbesondere Artikel 33 Abs. 1, wonach sich die Streitparteien zunächst um eine Beilegung durch »Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl« bemühen).
Diesen Vorstellungen, denen das rechtliche Konstrukt der souveränen Gleichheit der Staaten entspricht, stand im Gründungszeitraum und auch später eine unterschiedliche Verteilung der realen Macht gegenüber, u. a. ausgedrückt durch die militärische Stärke sowie Ungleichheiten in der sozialen und ökonomischen Entwicklung der einzelnen Staaten. Über die Anwendung von Kapitel VII entscheidet der UN-Sicherheitsrat.
Während des Ost-West-Konflikts war dies nur einmal der Fall, als der Vertreter der Sowjetunion wegen Abwesenheit nicht sein Veto im Sicherheitsrat gegen die Intervention der USA und der anderen verbündeten Staaten im Korea-Krieg einlegte. Seit 1989/91 hat sich die Zahl der militärischen Interventionen mit dem Placet von (oder Hinweis auf) Kapitel VII der UN-Charta stark erhöht.
Die UNO selbst hat kein Gewaltmonopol. Sie verfügt weder über ein Territorium, auf dem dieses auszuüben wäre, noch über eigene Streitkräfte, die sie selbst alimentiert und ausrüstet. Das heißt, die UNO bzw. der UN-Sicherheitsrat legitimieren lediglich Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen, und zwar nur in besonderen Fällen. So geschehen beim ersten und exemplarischen Fall vor dem zweiten Golfkrieg. Der damalige US-Präsident Bush feierte diese Legitimierung als Beginn einer »neuen Weltordnung«.
Die PDS hat sich damals mit Recht gegen die Aushöhlung und Instrumentalisierung der UN-Charta gewandt. Sie hat die diesen Krieg begleitende moralische Aufrüstung und Legitimationserheischung (»Saddam ist Hitler«) zurückgewiesen. Schon damals wurden Stimmen laut, die ihre Zustimmung zur Intervention als Schritt zu einer eigenen UN-Streitmacht verstanden wissen wollten: »Das stärkste Argument für die Möglichkeit eines Waffeneinsatzes am Golf«, so schrieb Jürgen Habermas am 15. Februar 1991 in »Die Zeit«, »besteht darin, daß die USA und deren Verbündete nach Beendigung des Kalten Krieges die Chance haben, stellvertretend und vorübergehend die neutrale Rolle einer heute noch fehlenden Polizeistreitmacht der UNO zu übernehmen. Unter dieser Mitterrandschen Prämisse könnte ein Einsatz am Golf den ersten Schritt zu einer weltbürgerlichen Ordnung markieren. Die Politik der Nichtverbreitung nuklearer (und fast ebenso gefährlicher biologischer) Waffen ist gescheitert. Deshalb muß die UNO mit einer verläßlichen und wirkungsvollen Exekutivgewalt ausgestattet werden. Denn in einer durch extreme Ungleichverteilung der Lebenschancen bestimmten Weltgesellschaft werden Erpressungen und irrationale Drohungen globalen Ausmaßes immer wahrscheinlicher.«
In ihrem Buch »Weltökonomie. Die Misere der Politik« haben Wolf-Dieter Narr und Alexander Schubert 1994 auf diese Hoffnungen geantwortet:
»Würde so argumentiert, dann müßten in diesem Weltstaat zuallererst die Ungleichheiten eingeebnet werden, deren Struktur Habermas zufolge die kriegerischen Konflikte erzeugt, die weltpolizeilich domestiziert werden sollen. Die Mindestvoraussetzung eines nicht despotischen und nicht einseitigen Herrschaftsinteressen genügenden Weltstaats - einmal angenommen, ein solcher wäre auch aus anderen demokratisch-menschenrechtlichen Gründen wünschenswert und unter heutigen Bedingungen möglich - bestünde also in einem strukturellen Ausgleich, in der Beseitigung dessen, was Johann Galtung >strukturelle Gewalt< genannt hat. Wählt man den zweiten Schritt vor dem ersten, ruft man voraussetzungslos nach einem Weltgewaltmonopol, von dem in Deutschland auch die Sozialdemokratische Partei gesprochen hat. Dann muß man sich den Vorwurf gefallen lassen, den UNO-weit schwingenden blauen Mantel des Allgemeininteresses um höchst einseitige Interessen mächtiger Staaten zu hüllen. Diese wollen vor allem mit Hilfe des legitimatorisch beanspruchten Weltmonopols die Struktur der Ungleichheit erhalten. Die Konsequenz daraus wäre, daß Herrschaft und Gewalt, auch und gerade gegen den einseitigen Anspruch der blau gewendeten Weltmächte, zunähmen. Die erniedrigten Staaten könnten nicht anders, als sich immer neu gegen eine einseitig etablierte Weltmacht zu erheben.« (S. 238)
Die angesprochenen Weltmächte haben die Nutzung des Kapitels VII der UN-Charta zur Legitimierung ihrer Interventionen sehr weit getrieben, auch wenn sie im »Fall Jugoslawien« darauf verzichten mußten. In Somalia brachte die von der UNO legitimierte Streitmacht 1993 über zehntausend Somalierinnen und Somalier zu Tode. Die allermeisten von ihnen Zivilisten. Sie war einmarschiert, um einen Völkermord durch Hunger zu verhindern. Aber sie ließ auch nicht von ihrem Vorhaben ab, als bekannt wurde, daß sich die Versorgungslage bereits vor ihrem Eintreffen erheblich verbessert hatte.
Die Invasion in Somalia war mithin Teil der neuen Völkerrechtssetzung durch vorgebliche Rechtsdurchsetzung der USA und der Bundesrepublik nach Kapitel VII der UN-Charta. Die Charta der Vereinten Nationen behindert die USA und ihre Juniorpartner nur unwesentlich. Zum einen wird sie aktiv genutzt, um sich im Namen von Menschenrechten und der Verhinderung von Völkermord als weltweite Ordnungsmacht zu etablieren. Zum anderen, falls es noch Widerspruch im UN-Sicherheitsrat gegen geplante Interventionen geben sollte, wird massiver ökonomischer Druck über Kreditvergaben (zum Beispiel auf Rußland während des Balkankrieges) ausgeübt, um zumindest die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zu den Ergebnissen des Militärschlags und deren legitimatorischer Absicherung zu erhalten.
Die PDS sollte deshalb in erster Linie die Instrumentalisierung der UN-Charta durch Groß- und Mittelmächte auf der einen Seite offenlegen und kritisieren. Andererseits müßte sie generell darauf hinweisen, daß Kapitel VII als absolute Notfallregelung gegen einen »Aggressor« konzipiert worden war und nicht als Regelfall der Legitimierung von Interventionen bei Massakern oder Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung.
Es ist weiterhin absolut notwendig, zur Kenntnis zu nehmen, daß das in der Phase des Kalten Krieges entwickelte Instrumentarium der friedenserhaltenden Aktionen (Blauhelme) nicht in der Charta enthalten ist. Bis 1987 gab es 13 solcher Missionen, danach bisher weitere 28 »Friedensoperationen« - u. a. seit 1989 Angola, 1991 bis 95 EI Salvador, seit 1991 Westsahara, 1992 bis 95 Kroatien/Bosnien 1991 bis 93 Kambodscha, 1993 bis 96 Ruanda. Nach den enttäuschenden Ergebnissen vor allem in Somalia (UNOSOM I und II) und im ehemaligen Jugoslawien (UNPROFOR) aufgrund mangelnden Engagements der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und vorhandener Differenzen unter ihnen wurden die Grenzen des Einsatzes von UN-Blauhelmen sichtbar, im Falle Jugoslawiens erfolgte dann 1996 eine Übertragung des Mandats an eine »NATO-Friedensstreitmacht« auf der Grundlage des Kapitel III der UN-Charta. Mehrfach haben Friedens- und Konfliktforscher darauf hingewiesen, daß bislang in keinem einzigen Konflikt, welche vielfältigen Ursachen er auch immer hatte, vor einem Einsatz militärischer Mittel alle möglichen friedlichen Mittel für Konfliktbeilegung hinreichend ausgeschöpft worden sind.
Sollte sich die PDS dafür aussprechen, friedenserzwingende Missionen der UN bzw. von der UN legitimierte Missionen zu rechtfertigen und zu unterstützen, wäre der bisherigen Praxis der herrschenden Mächte nur eine neue Rechtfertigung von links zugewachsen.
2. Aufgaben der PDS angesichts der zunehmenden Militarisierung der internationalen Beziehungen
Zum 50. Jahrestag der Gründung der UNO erklärte der Parteivorstand der PDS: »Der in der Charta verankerte Auftrag, >künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren<, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, daß Streitigkeiten friedlich beigelegt werden und die Androhung und Anwendung von Gewalt unterbleibt, ist nicht erfüllt. Weit entfernt ist die UNO von der Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben, die, in der Charta gestellt sind. Nach Art. 55 ist ein >Zustand der Stabilität und Wohlfahrt< erforderlich, damit friedliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen herrschen. Dazu gehören die Achtung und Verwirklichung der Grundfreiheiten, aber auch die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg.«
Gerade der soziale Teil der Charta schlummert in einer Art Dornröschenschlaf vor sich hin. Nehmen wir aber die Analysen ernst, die weltweite soziale Ungleichheit als eine der Hauptursachen für bewaffnete Konflikte benennen, so können wir nicht länger nur auf eine Politik der zivilen Konfliktprävention setzen, sondern müssen Stimme auch gegen die globale soziale Ungerechtigkeit werden. Daraus folgt: Wir müssen mit entsprechenden Konzepten in die Öffentlichkeit gehen und nicht internationalen Brandstiftern noch mehr Benzin für ihre Feuerlöschaktionen nachtragen.
Eine Demokratisierung der UN ist auf diesem Weg nur ein erster Schritt. Vor allem muß sich die PDS dafür einsetzen, daß auch in der jetzigen Situation der Übermacht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und der wachsenden Verhandlungsmacht der größten Zahler (USA 25 Prozent, Japan 15,65 Prozent, Deutschland, 9,06 Prozent) minimale demokratische Standards in den Vereinten Nationen gewahrt bleiben.
Die de jure und de facto Errichtung eines »Gewaltmonopols« der UN wäre unter den jetzigen globalen Bedingungen und der in ihnen herrschenden Machtverhältnisse geradezu ein Fanal zum weltweit bewaffneten Konflikt. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, daß der »Kuchen« nur einmal aufgeteilt werden kann. Wer also internationale Streitkräfte unter UN-Oberbefehl fordert, muß wissen, daß er damit eine beispiellose Aufrüstung auf der Ebene der Vereinten Nationen in Gang setzen würde. Die finanziellen Mittel, die für die Aus- und Aufrüstung dieser Truppe zur Verfügung gestellt werden müßten, würden zum Beispiel für tatsächlich humanitäre Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen. Erinnert sei nur an die Kosten, die eine schon hochgerüstete Bundeswehr in Somalia verbraten hat, für wenige Monate über 300 Millionen DM. Das für die Bundeswehr geplante Aufrüstungsprogramm für Auslandseinsätze von 20 bis 40 Milliarden DM in den nächsten zehn Jahren würde, auf die internationale Ebene übertragen, ein Vielfaches der Kosten betragen.
Von daher stellt sich die Frage: Kann die PDS aus ihrer friedenspolitischen Verantwortung heraus dies fordern? Die UNO zu stärken heißt doch nicht, ihr ein kostspieliges Gewaltmonopol aufzudrücken oder sich daran zu beteiligen, Kapitel VII der UN-Charta im Sinne eines Regelfalls auszulegen, sondern sich zu engagieren, daß im Rahmen von UNO und OSZE die präventiven konfliktverhindernden Maßnahmen gestärkt werden und international Druck gemacht wird, um eine demokratische, sozial gerechte Welt- und Weltwirtschaftsordnung zu erreichen. Waffenexporte, Aufrüstungsprogramme und dergleichen müßten weltweit geächtet werden. Das wären langfristig zu erreichende Ziele, auf die die PDS zusammen mit anderen internationalen linken Organisationen hinarbeiten könnte und sollte.
3. Die »Sonderfälle« Ruanda und Osttimor
Mit der Konstruierung von Sonderfällen beginnt die Etablierung des Regelfalls, so könnte man die Strategie erst der konservativ-liberalen Regierung und dann die nachholende Entwicklung bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschreiben. Verteidigungsminister Volker Rühe hat diese Strategie schon 1990 in Worte gefaßt. Es komme darauf an, so erklärte er, die deutsche Gesellschaft wieder an die Präsenz deutscher Soldaten im Ausland zu gewöhnen. Er formulierte es sogar noch deutlicher, es komme darauf an, die deutsche Gesellschaft binnen zehn Jahren wieder »kriegsfähig« zu machen. Auf dieses Ziel war seit der deutschen Vereinigung eine ganze Public-Relations-Kampagne gerichtet, die zum einen den Bundeswehrsoldaten als »Helfer, Schützer und Retter« ins Bewußtsein der Menschen bringen sollte. Zum anderen sollte dieses Bild durch »humanitäre« Auslandseinsätze (Kambodscha und Somalia) und »humanitäre« Inlandseinsätze (Kampf gegen das Oder-Hochwasser) eine reale Projektionsfläche erhalten. Wir müssen feststellen, daß diese Strategie zumindest in Teilen der Gesellschaft Wurzeln geschlagen hat. Die PDS hat sich seit 1989 immer gegen diese Einsätze gewandt und versucht, diese als mediale Strategie der Regierenden zu entlarven, um schließlich wieder Kriegs- und Kampfeinsätze von deutschem Boden aus mitführen zu können.
Jetzt kommt aus der PDS selbst die Forderung, Ruanda und Osttimor zu Sonderfällen zu machen, in denen deutsche Soldaten (ob als Teil eines UN- »Gewaltmonopols« oder nicht) durch die UN-Charta Kapitel VII legitimiert zur Waffe greifen und intervenieren sollten (Position von Wolfgang Gehrcke).
Dazu könnte es hilfreich sein, sich die Konfliktgenese in diesen beiden Regionen und die Gründe für die Nichtintervenention bzw. Intervention internationaler Streitkräfte noch einmal anzuschauen. Denn beide erscheinen mir beispielhaft für die Rechtfertigung des neuen Interventionismus und für die Legitimierung von Militärgewalt als Mittel der Politik in den internationalen Beziehungen, als ultima ratio, als äußerstes nicht letztes politisches Mittel der Groß- und Mittelmächte dieser Welt.
In Ruanda hatte Frankreich, ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, die Hutu-Regierung seit 1990 massiv unterstützt, obwohl bereits Berichte über bevorstehende Massaker der Hutu-Regierung an den Tutsis vorlagen. Selbst noch am Ende der Massaker 1994 intervenierte Frankreich, das sich als Führungs- bzw. Einflußmacht in dieser Region versteht, militärisch in Ruanda, um die Reste der Hutu-Regierung zu stützen. Eine Intervention nach Kapitel VII hätte folglich den Machtinteressen eines ständigen Sicherheitsratsmitglieds widersprochen. Sie wäre damit schlicht unmöglich gewesen.
Die Annektion Osttimors durch Indonesien wurde zuallererst von Australien, der regionalen Vormacht, anerkannt, die heute das Gros der Interventionstruppen stellt. Für die Massaker nach dem Einmarsch indonesischer Truppen 1976 hatten die USA grünes Licht gegeben. Auch die Bundesrepublik Deutschland pflegte immer besonders gute Beziehungen zur indonesischen Diktatur. Vergessen wir nicht die massiven Waffenlieferungen, die Übersendung von Resten der DDR-Marine an Indonesien oder Schönbohms Polizei- und Ausbildungshilfe für Jakarta. Die Mächte also, die die Brände mit legten und schürten, betätigen sich heute als Feuerwehr.
In Ruanda wie in Osttimor zeigt sich, daß imperiale Machtinteressen über (Nicht-)Intervention bzw. Intervention das Verhalten gegenüber Massakern bestimmen. Ein UN-Gewaltmonopol würde daran auf absehbare Zeit nichts ändern, es hätte nur eine erhöhte Legitimierungsfunktion für die jeweiligen (Nicht- )Interventionen bzw. Interventionsmächte.
Schlußbemerkungen
Die PDS sollte nicht auf den Zug aufspringen. Sie sollte sich nicht an einer Uminterpretation der UN-Charta, speziell von Kapitel VII, beteiligen. Wir dürfen uns keine Illusionen über den Nutzen der Errichtung eines UN- Gewaltmonopols angesichts der jetzigen globalen Machtverhältnisse und der undemokratischen UN- Strukturen für die Zivilisierung der internationalen Beziehungen machen. Das Motto »Nie wieder Krieg ohne deutsche Soldaten«, das die jetzige rosa-grüne Regierung schon versucht, in die Tat umzusetzen, wäre dann zwingende Notwendigkeit unter dem legitimatorischen Deckmantel der Durchsetzung des UN-Gewaltmonopols.
Die Fragen, denen sich die PDS wieder und wieder stellen muß, können nur lauten: Wie kann ein Einsatz militärischer Gewalt zur Lösung von Konflikten verhindert werden? Welche politischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, um Konflikte unmöglich zu machen bzw. rechtzeitig einzudämmen usw. In dem Moment, wo wir die militärische Gewaltanwendung als Möglichkeit generell ausschließen, kommen wir dann logischerweise auch gar nicht erst zur Fixierung von Bedingungen für militärische Mittel, sondern hinterfragen, welche ausschließlich zivilen bzw. nichtmilitärischen Möglichkeiten es gibt.
Hier liegt die eigentliche politische Herausforderung für die PDS. Wir müssen - und dazu kann die Bundestagsfraktion viel beitragen - theoretisch, politisch- strategisch und auch in der praktischen Alltagspolitik bezogen auf ganz konkrete Konfliktsituationen überzeugende und realistische alternative Politikvorschläge formulieren. Das ist zugegebenermaßen nicht einfach, schon gar nicht im heutigen internationalen Umfeld und in einem Land, in dem außer der PDS inzwischen alle relevanten politischen Kräfte Krieg oder militärische Gewalt als Mittel der Politik als legitim und deutsche Soldaten im Ausland als normal ansehen.
Nach wie vor zu bedenken ist, was André Brie vor einiger Zeit zu diesem Thema schrieb: »Realismus ist notwendig hinsichtlich der Wege, hinsichtlich der Gewinnung von Mehrheiten gegen Militarismus und Militär. Realismus nach ein paar Jahrtausenden Krieg und all seinen >Legitimierungen<, erst recht unter den heutigen Welt- und Waffenbedingungen, kann aber auch nur noch eine konsequente und kompromißlose Ablehnung des Krieges, jeden Krieges bedeuten. Auch der >gerechteste< Krieg, auch Krieg, der tatsächlich und nicht nur angeblich auf Friedenserhaltung gerichtet wäre, trägt dazu bei, daß eine >tödliche< Logik der Militarisierung der Gesellschaft, Politik und Denken fortgesetzt wird. Wenn nicht endlich dieser Weg von Ursache-Folge-Ursache, Aktion-Reaktion-Aktion durchbrochen wird, läßt sich der globale sicherheitspolitische GAU nicht mehr abwenden. Daß das schwierig ist angesichts der westlichen Kriegs- und Rüstungsinteressen, ändert nichts an der Notwendigkeit für die Linke, die PDS eingeschlossen, zivilen und pazifistischen Lösungen Gewicht zu verleihen. Die PDS - auch im Bundestag - ist gut beraten, wenn sie sich den Kompliziertheiten eines gesellschaftlich und politisch realisierbaren Pazifismus widmet.«
P.S.: Im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr davon zu sprechen, daß wir es uns »nicht einfach machen« dürften und die Bundesrepublik nicht mit jenem Deutschland gleichgesetzt werden könne, das den Ersten bzw. Zweiten Weltkrieg auslöste (S. 10 des Diskussionspapiers von Gregor Gysi), halte ich für eine bedenkliche Argumentation. Die ihr zugrunde liegende Logik will sich mir nicht erschließen. Als Linke, denke ich, sind wir gut beraten, uns an den soeben geehrten deutsch-amerkanischen Historiker Stern zu halten. Er hatte in seiner Festrede bei der Verleihung des diesjährigen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels betont, jegliches Ausweichen in »Normalität« sei vergeblich, und hinzugefügt, es gebe »kein Ende der Geschichte, auch keinen Schlußstrich, keinen völlig neuen Anfang«. Wie hochaktuell diese Frage ist, erleben wir in der europäischen Tagespolitik. So verwies der finnische Minister Kimmo Sasi beim jüngsten EU- Sondergipfel in Tampere mit Blick auf das in der Tat rüde Verhalten von Bundeskanzler Schröder (z. B. Sprachenstreit und Hombach-Ernennung) darauf, daß sich die heutige Regierung arroganter als ihre Vorgängerin verhalte. Kohl habe bei seiner Politik immer die Folgen der deutschen Aggression während des Zweiten Weltkrieges bedacht.
Tobias Pflüger - 2005/04/20 05:47
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