EU-Verfassung: monströs und unverständlich? - Rege Diskussion im Deutsch-Amerikanischen Institut
Pressebericht in: Rhein-Neckar-Zeitung - 03.05.2005 - Yvonne Kaul
Feierlich war es, als vor knapp einem Jahr in Rom die Verfassung der EU nach mehrmonatigen Bemühungen endlich unterzeichnet worden ist. Doch nach der Kür kommt jetzt die Pflicht: Der Text wird den einzelnen Ländern zur Ratifizierung vorgelegt. Die feierliche Stimmung ist starker Kontroverser gewichen. Denn der fast 500 Seiten starke Text findet in der EU-Bevölkerung lange nicht so viel Zuspruch wie von der Politik erhofft. So endete auch die Podiumsdiskussion im Deutsch-Amerikanischen Institut in einem regen Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern der neuen Verfassung.
Der Text schreibe eine neoliberale Wirtschaftsordnung vor, die viel zu viel Rücksicht auf Interessen der Großbanken und Großkonzerne nehme, den Einzelnen aber seinem Schicksal überlasse, lautete ein wesentlicher Vorwurf gegen das Dokument. "78 Mal kommt in diesem Text das Wort Markt vor, 77 Mal Wettbewerb", rechnete Christoph Strawe vom Institut für soziale Gegenwartsfragen akribisch aus.
Seiner Meinung nach gehöre aber die Frage der Wirtschaftsordnung überhaupt nicht in eine Verfassung. Auch im deutschen Grundgesetz sei die Entscheidung über die Wirtschaftsordnung den Bürgern überlassen. Grundsätzlich monierte das Attack-Mitglied das Vertragswerk als zu detailversessen, es gleicht einer "Vorschriftensammlung unzähliger Bestimmungen". Gegenüber beispielsweise dem nur knapp 40 Seiten schlanken Text der US-Verfassung erscheint das europäische Pendant in der Tat geradezu monströs.
Daher rühren auch die wesentlichen Probleme: Der Text ist wenig zugänglich, kaum jemand setzt sich mit dem dicken Wälzer auseinander. Und die Politik kümmert sich zu wenig um die Beteiligung der Bürger. Die Folge: Viele fühlen sich nicht ausreichend informiert und schon gar nicht in den Entscheidungsprozess miteinbezogen. "Bezeichnenderweise wurde selbst diese Veranstaltung von drei Nichtregierungsorganisationen initiiert", beobachtet ein Besucher. Der volle DAI-Saal und die mehrstündige Diskussion zeigen dabei deutlich, wie hoch der Informationsbedarf tatsächlich ist.
Für erregte Gemüter im Saal sorgten vor allem die militärischen Passagen. Denn der neue EU-Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten darauf, schrittweise und kontinuierlich aufzurüsten. Um diesen Prozess zu überwachen, wird ein Aufrüstungs-Kontrollgremium geschaffen, das im Vertrag "Verteidigungsagentur" genannt wird. Und die neue, 60 000 starke EU-Armee soll eine breite Palette von Möglichkeiten erhalten, in der ganzen Welt zu kämpfen. Damit öffnet die Verfassung Tür und Tor für Präventivkriege, die aus unterschiedlichsten Gründen angezettelt werden können, kritisiert Tobias Pflüger vom Europäischen Parlament.
Armin von Bogdandy, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, verteidigte die Entscheidung: Das Desaster in Jugoslawien hätte vermutlich verhindert werden können, wenn es eine organisierte Sicherheitspolitik gäbe, so der Wissenschaftler. Auch Heide Rühle, Mitglied des Europäischen Parlaments, stellte sich grundsätzlich hinter den Kompromiss: "Europapolitik kommt nur millimeterweise voran", sagt Rühle. Und das sei bei inzwischen 25 Mitgliedsländern einfach nicht zu vermeiden.
Der Bundestag stimmt am 12. Mai, der Bundesrat am 27. Mai über die EU-Verfassung ab. Für die Ratifizierung ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig, die als gesichert gilt. Damit will Deutschland ein politisches Signal an den EU-Partner Frankreich senden - genau zwei Tage vor dem dort stattfindenden Referendum.
Feierlich war es, als vor knapp einem Jahr in Rom die Verfassung der EU nach mehrmonatigen Bemühungen endlich unterzeichnet worden ist. Doch nach der Kür kommt jetzt die Pflicht: Der Text wird den einzelnen Ländern zur Ratifizierung vorgelegt. Die feierliche Stimmung ist starker Kontroverser gewichen. Denn der fast 500 Seiten starke Text findet in der EU-Bevölkerung lange nicht so viel Zuspruch wie von der Politik erhofft. So endete auch die Podiumsdiskussion im Deutsch-Amerikanischen Institut in einem regen Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern der neuen Verfassung.
Der Text schreibe eine neoliberale Wirtschaftsordnung vor, die viel zu viel Rücksicht auf Interessen der Großbanken und Großkonzerne nehme, den Einzelnen aber seinem Schicksal überlasse, lautete ein wesentlicher Vorwurf gegen das Dokument. "78 Mal kommt in diesem Text das Wort Markt vor, 77 Mal Wettbewerb", rechnete Christoph Strawe vom Institut für soziale Gegenwartsfragen akribisch aus.
Seiner Meinung nach gehöre aber die Frage der Wirtschaftsordnung überhaupt nicht in eine Verfassung. Auch im deutschen Grundgesetz sei die Entscheidung über die Wirtschaftsordnung den Bürgern überlassen. Grundsätzlich monierte das Attack-Mitglied das Vertragswerk als zu detailversessen, es gleicht einer "Vorschriftensammlung unzähliger Bestimmungen". Gegenüber beispielsweise dem nur knapp 40 Seiten schlanken Text der US-Verfassung erscheint das europäische Pendant in der Tat geradezu monströs.
Daher rühren auch die wesentlichen Probleme: Der Text ist wenig zugänglich, kaum jemand setzt sich mit dem dicken Wälzer auseinander. Und die Politik kümmert sich zu wenig um die Beteiligung der Bürger. Die Folge: Viele fühlen sich nicht ausreichend informiert und schon gar nicht in den Entscheidungsprozess miteinbezogen. "Bezeichnenderweise wurde selbst diese Veranstaltung von drei Nichtregierungsorganisationen initiiert", beobachtet ein Besucher. Der volle DAI-Saal und die mehrstündige Diskussion zeigen dabei deutlich, wie hoch der Informationsbedarf tatsächlich ist.
Für erregte Gemüter im Saal sorgten vor allem die militärischen Passagen. Denn der neue EU-Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten darauf, schrittweise und kontinuierlich aufzurüsten. Um diesen Prozess zu überwachen, wird ein Aufrüstungs-Kontrollgremium geschaffen, das im Vertrag "Verteidigungsagentur" genannt wird. Und die neue, 60 000 starke EU-Armee soll eine breite Palette von Möglichkeiten erhalten, in der ganzen Welt zu kämpfen. Damit öffnet die Verfassung Tür und Tor für Präventivkriege, die aus unterschiedlichsten Gründen angezettelt werden können, kritisiert Tobias Pflüger vom Europäischen Parlament.
Armin von Bogdandy, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, verteidigte die Entscheidung: Das Desaster in Jugoslawien hätte vermutlich verhindert werden können, wenn es eine organisierte Sicherheitspolitik gäbe, so der Wissenschaftler. Auch Heide Rühle, Mitglied des Europäischen Parlaments, stellte sich grundsätzlich hinter den Kompromiss: "Europapolitik kommt nur millimeterweise voran", sagt Rühle. Und das sei bei inzwischen 25 Mitgliedsländern einfach nicht zu vermeiden.
Der Bundestag stimmt am 12. Mai, der Bundesrat am 27. Mai über die EU-Verfassung ab. Für die Ratifizierung ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig, die als gesichert gilt. Damit will Deutschland ein politisches Signal an den EU-Partner Frankreich senden - genau zwei Tage vor dem dort stattfindenden Referendum.
Tobias Pflüger - 2005/05/05 23:34
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