10 plus 3 Gründe gegen den EU-Verfassungsvertrag
Beitrag auf der Pressekonferenz von attac Deutschland am 12.05.2005 in Berlin - Tobias Pflüger
Gerade eben hatte ich die Gelegenheit, mir die Debatte im Bundestag zum EU-Verfassungsvertrag anzuhören, und Gerhard Schröder meinte - ich zitiere es mal -, in diesem Augenblick möge man "nicht allzu kleinlich und detailversessen auf den einen oder anderen Halbsatz in diesem oder jenem Paragraphen des Gesamtwerkes starren, der unseren Erwartungen vielleicht nicht völlig entspricht".
Man muss bei diesem Satz, den Gerhard Schröder da gesagt hat, wissen: er spricht über den europäischen Verfassungsvertrag, von dem Herr Chirac gesagt hat, er soll für die nächsten fünfzig Jahre gelten. Und da sollen wir nicht auf die konkreten Ausführungen, die drinstehen, achten? Das fand ich doch eine sehr problematische Äußerung. Sie zeigt insgesamt aber auch den Umgang mit diesem Verfassungsvertrag.
Der Militärbereich ist so etwas wie das Rückgrat dieses Verfassungsvertrages. Deshalb sage ich auch immer, es ist eine Militärverfasssung.
Es gibt zehn plus drei Gründe, warum wir als Friedensbewegung, als attac gegen diesen Verfassungsvertrag sind. Diese Punkte ziehen sich durch den gesamten Verfassungsvertrag durch und sind im Grunde genommen nicht herausnehmbar, denn wenn man die herausnehmen würde, würde man das Rückgrat herausnehmen, und dieser Verfassungsvertrag wäre nicht mehr das, was er jetzt ist.
Der erste Grund für unsere Ablehnung ist der Stellenwert der Außen- und Militärpolitik in diesem Verfassungsvertrag. Von der EU-Kommission wird sehr deutlich mitgeteilt, dass die grundlegenden Veränderungen des Verfassungsvertrages für den Bereich der Außen- und Militärpolitik gelten. Wir haben gerade im Europäischen Parlament über einen Bericht abgestimmt, den so Corbett-Mendez-de Vigo-Bericht. In diesem Bericht wird sehr richtig festgestellt - ich habe gegen diesen Bericht gestimmt, aber in diesem Bericht wird sehr richtig festgestellt -, dass die meisten Fortschritte, die die Verfassung gewährt, im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik liegen. Das ist analytisch völlig richtig, was bedeutet, dass es sich tatsächlich lohnt, sich die einzelnen Punkte im Konkreten anzuschauen.
Zweitens gibt es diesen berühmten, inzwischen berüchtigten Artikel I-41(3), in dem es heißt: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." Ich kriege bei den Debatten immer wieder mit, dass dieser Artikel von der politischen Ebene dahingehend beschrieben wird, dass das halt notwendig sei und man sozusagen die militärischen Kapazitäten angleichen müsse. Im Gegensatz zu diesen Einschätzungen sind wir als Kritiker mit denjenigen, die von dem Artikel profitieren, analytisch völlig einig, nämlich mit der Rüstungsindustrie. Als Abgeordneter im Europäischen Parlament werde ich inzwischen häufiger von der Rüstungsindustrie eingeladen - beispielsweise zum Mittagessen -, und bei solchen Gesprächen wird diese Regelung genauso wie bei uns als Aufrüstungsverpflichtung verstanden. Die Rüstungsindustrie weiß, was sie von diesem Artikel hat: er ist eine Aufrüstungsverpflichtung und soll dafür sorgen, dass die jeweiligen Mitgliedstaaten mehr für militärische Kapazitäten ausgeben. Dies wird insbesondere für die ost- und mitteleuropäischen neuen Mitgliedstaaten eine ganze Reihe von Auswirkungen auch auf die innergesellschaftliche Situation haben.
Drittens: Im EU-Verfassungsvertrag werden im Artikel III-309 die so genannten Petersberg-Aufgaben, die es bisher schon gab, festgeschrieben und ergänzt durch weitere militärische Optionen der Europäischen Union. Der Begriff "Petersberg-Aufgaben" umfasst so genannte humanitäre Aktionen bis hin zu Kampfeinsätzen. Die bisherigen Aufgaben werden ergänzt durch zwei neue Arten von Militäroptionen, eine davon die so genannten "militärischen Abrüstungsmaßnahmen". Dieser Begriff führt regelmäßig zu Verwirrung, weil logischerweise niemand weiß, was darunter zu verstehen ist. Im Bericht, über den wir abgestimmt haben, wird es am besten ausgedrückt, dort heißt es "Entwaffnungsmissionen". Ergo: "Entwaffnungsmissionen" durch Militär, genauer gesagt: mit militärischen Mitteln sollen andere Staaten "abgerüstet" werden.
Unter dieser Aufgabe kann man sich eine ganze Menge vorstellen. Wir hatten im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments dazu eine Debatte, und in diesem Kontext fielen die Stichworte Mazedonien und Irak-Krieg.
Der zweite Aspekt, der zusätzlich zu den Petersberg-Aufgaben eingeführt wird, ist gleichzeitig mein vierter Punkt. Der Verfassungsvertrag besagt, dass Unterstützung für Drittländer geleistet wird "bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet." Das ist völlig neu und bedeutet, dass sich dadurch die Europäische Union in Konflikten konkret auf eine Seite schlagen und dabei das bekämpfen kann, was in dem spezifischen Konflikt als "Terrorismus" bezeichnet wird. Diese Neuerung ist insofern sehr wichtig, als dass sie genau der Praxis entspricht, die die USA durchführt, zum Beispiel auf den Philippinen. Dort sind US-amerikanische und philippinische Truppen dabei, das zu bekämpfen, was dort als "Terrorismus" bezeichnet wird.
Punkt fünf bezieht sich auf die so genannte Rüstungsagentur - inzwischen hat sie den schöneren Namen Verteidigungsagentur. Diese Agentur ist ebenfalls für die europäische Rüstungsindustrie von wesentlicher Bedeutung. Durch sie werden militärische Beschaffungsmaßnahmen nicht nur koordiniert, sondern auch administrativ durchgeführt, und das ist neu.
Punkt sechs ist der Artikel I-41(2), der in der französischen Debatte eine ganz wichtige Rolle spielt. In diesem Artikel wird der NATO eine Rolle in diesem Verfassungsvertrag eingeräumt, und es wird explizit darauf Bezug genommen, dass einige EU-Mitgliedstaaten Teil der NATO sind und dass die EU-Militärpolitik völlig kompatibel sein muss mit der NATO-Politik. Von meinen häufigen Besuchen in Frankreich in der letzten Zeit weiß ich, dass das dort ein ganz wichtiger Aspekt ist. Denn es bedeutet im Grunde genommen, dass die NATO durch die Hintertür über diesen Verfassungsvertrag quasi Teil des Ganzen wird.
Der siebente Punkt ist der Artikel III-304, das wurde schon angedeutet. Wir haben als Europäisches Parlament nach wie vor nur die Möglichkeit, "Anfragen" zum Bereich der Außen- und Militär-Politik zu stellen, und werden "auf dem Laufenden" gehalten. Eine Entscheidungsgewalt zu diesem Themenbereich gibt es für uns nicht.
In dem Kontext ist auch der nächste, der achte, Punkt spannend, Artikel III-376, wonach der Europäische Gerichtshof ebenfalls nicht zuständig ist für den Bereich der Außen- und Militärpolitik. Der EUGH hat in diesem Bereich explizit nichts zu sagen und nichts zu entscheiden.
Bei dem neunten Punkt handelt es sich um die so genannte militärische Solidaritätsklausel, festgeschrieben im Artikel I-43. Dort verpflichten sich die Mitgliedstaaten dazu, sich bei terroristischen Angriffen militärischen Beistand zu leisten. Dieser militärische Beistand geht sogar über den militärischen Beistand der NATO hinaus.
Und - last but not least - die meiner Ansicht nach wichtigste Neuregelung des Verfassungsvertrages im Militärbereich: die so genannte "Strukturierte Zusammenarbeit". Diese Strukturierte Zusammenarbeit beinhaltet, dass einzelne Mitgliedstaaten der Europäischen Union - die, wie es so schön heißt, "untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind", militärpolitisch vorausgehen können, und die anderen Mitgliedstaaten haben nur die Chance einer so genannten konstruktiven Enthaltung. Im Militärbereich, wo ja weitestgehend das Einstimmigkeitsprinzip gilt, bezieht sich dieses Prinzip der Einstimmigkeit also bezüglich der Strukturierten Zusammenarbeit nur auf die Länder, die an dieser Strukturierten Zusammenarbeit teilnehmen.
Das muss man sich mal vorstellen: Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sieht Battle-Groups - 13 Battle-Groups à 1.500 Soldaten - vor und ein European Rapid Reaction Corps mit 60.000 Soldaten. Wenn dann einzelne Staaten sagen, dass sie gemeinsame militärische Aktionen durchführen wollen, und wenn sie das Votum vom Ministerrat bekommen, liegt die Durchführung ausschließlich in den Händen derjenigen, die an den Aktionen teilnehmen. Die anderen haben dabei nichts mehr zu sagen, sie können sich nur konstruktiv enthalten.
Das ist so etwas wie die Festschreibung des militärischen Kerneuropas. Es ist völlig klar, wer diese Option hauptsächlich in Anspruch nehmen wird: das werden die Großen sein, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Man hat für diesen Bereich dem EU-Verfassungsvertrag sogar ein eigenständiges Protokoll angefügt, wo diese Strukturierte Zusammenarbeit detailliert geregelt ist. Es ist also eines der wichtigsten Projekte des Verfassungsvertrages. Auch wenn jetzt über einen Plan B diskutiert wird, taucht immer diese Strukturierte Zusammenarbeit als der Teil auf, der anderweitig geregelt werden müsse. Das zeigt wiederum, wie wichtig dieser Punkt ist.
Warum habe ich am Anfang gesagt: Zehn plus drei Gründe? Weil auch der Kontext wichtig ist. In Artikel I-6 steht, dass dieser Verfassungsvertrag für sich in Anspruch nimmt, Verfassungswirkung zu haben. Das ist für die Rechtswirkung des Verfassungsvertrages ganz wesentlich. Ein Jurist hat das sehr schön beschrieben, er sagte: es ist ja eigentlich weder eine Verfassung noch ist es ein normaler Vertrag zwischen den 25 Mitgliedstaaten. Es ist so eine Art Zwitter. Aber er wird immer mehr zu einer Verfassung, er entwickelt immer mehr Verfassungswirkung. Das ist nicht nur für den Militärbereich von wesentlicher Bedeutung, sondern auch für alle anderen Bereiche. Es bedeutet insbesondere für die Regelungen im Grundgesetz, dass sie Stück für Stück überlagert werden durch die Regelungen im Verfassungsvertrag.
Der zweite Zusatzgrund liegt im EURATOM-Vertrag, welcher eine Förderung der Atomenergie beinhaltet, er bleibt einerseits als einziger EU-vertrag außerhalb des EU-Verfassungsvertrages bestehen und wird andererseits angepasst und Teil des Verfassungsvertrages. Dieser Punkt hat bisher in der Debatte kaum eine Rolle gespielt und beinhaltet natürlich auch eine militärische Komponente.
Und als allerletzter Punkt: Die Grundrechte-Charta, die immer so gelobt wird, der zweite Teil des Verfassungsvertrages, wird durch Erläuterungen wesentlich wieder eingeschränkt. Artikel II-112 verweist auf die 12. Erklärung, wo zu jedem Grundrecht der Charta eine Erläuterung und wesentliche Einschränkungen stehen. Ein Beispiel, das sich auf die Frage von Krieg und Frieden bezieht, zeigt, wie mit der Todesstrafe umgegangen wird. Die Todesstrafe wird in der Grundrechte-Charta in Artikel II-62(2) explizit ausgeschlossen. Aber in der Erläuterung wird das Verbot der Todesstrafe in Bezug auf Krieg oder mögliche Kriegsaktionen und selbst bei Aufständen, wieder so eingeschränkt, dass es nicht mehr gilt. Ich denke, entweder man schreibt das Verbot der Todesstrafe fest, oder man lässt es sein. Aber so eine Öffnung, die sich nicht nur auf Kriege bezieht, sondern auch auf andere Situationen, ist sehr problematisch.
Politisch zusammengefasst: Dieser EU-Verfassungsvertrag verändert die Europäische Union - sollte er angenommen werden -, wesentlich, insbesondere im Bereich der Außen- und Militär-Politik. Damit folgt die Europäische Union den USA auf dem falschen Weg der Militarisierung, und damit soll die Europäische Union zu einem militärisch basierten Global Player werden.
Was wir dagegen wollen, ist eine Europäische Union, die als ziviler Akteur handelt und nicht genau die gleichen Fehler macht, wie sie im Bereich der US-amerikanischen Außen- und Militär-Politik passieren. Deshalb gibt es diesen Aufruf für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa.
Gerade eben hatte ich die Gelegenheit, mir die Debatte im Bundestag zum EU-Verfassungsvertrag anzuhören, und Gerhard Schröder meinte - ich zitiere es mal -, in diesem Augenblick möge man "nicht allzu kleinlich und detailversessen auf den einen oder anderen Halbsatz in diesem oder jenem Paragraphen des Gesamtwerkes starren, der unseren Erwartungen vielleicht nicht völlig entspricht".
Man muss bei diesem Satz, den Gerhard Schröder da gesagt hat, wissen: er spricht über den europäischen Verfassungsvertrag, von dem Herr Chirac gesagt hat, er soll für die nächsten fünfzig Jahre gelten. Und da sollen wir nicht auf die konkreten Ausführungen, die drinstehen, achten? Das fand ich doch eine sehr problematische Äußerung. Sie zeigt insgesamt aber auch den Umgang mit diesem Verfassungsvertrag.
Der Militärbereich ist so etwas wie das Rückgrat dieses Verfassungsvertrages. Deshalb sage ich auch immer, es ist eine Militärverfasssung.
Es gibt zehn plus drei Gründe, warum wir als Friedensbewegung, als attac gegen diesen Verfassungsvertrag sind. Diese Punkte ziehen sich durch den gesamten Verfassungsvertrag durch und sind im Grunde genommen nicht herausnehmbar, denn wenn man die herausnehmen würde, würde man das Rückgrat herausnehmen, und dieser Verfassungsvertrag wäre nicht mehr das, was er jetzt ist.
Der erste Grund für unsere Ablehnung ist der Stellenwert der Außen- und Militärpolitik in diesem Verfassungsvertrag. Von der EU-Kommission wird sehr deutlich mitgeteilt, dass die grundlegenden Veränderungen des Verfassungsvertrages für den Bereich der Außen- und Militärpolitik gelten. Wir haben gerade im Europäischen Parlament über einen Bericht abgestimmt, den so Corbett-Mendez-de Vigo-Bericht. In diesem Bericht wird sehr richtig festgestellt - ich habe gegen diesen Bericht gestimmt, aber in diesem Bericht wird sehr richtig festgestellt -, dass die meisten Fortschritte, die die Verfassung gewährt, im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik liegen. Das ist analytisch völlig richtig, was bedeutet, dass es sich tatsächlich lohnt, sich die einzelnen Punkte im Konkreten anzuschauen.
Zweitens gibt es diesen berühmten, inzwischen berüchtigten Artikel I-41(3), in dem es heißt: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." Ich kriege bei den Debatten immer wieder mit, dass dieser Artikel von der politischen Ebene dahingehend beschrieben wird, dass das halt notwendig sei und man sozusagen die militärischen Kapazitäten angleichen müsse. Im Gegensatz zu diesen Einschätzungen sind wir als Kritiker mit denjenigen, die von dem Artikel profitieren, analytisch völlig einig, nämlich mit der Rüstungsindustrie. Als Abgeordneter im Europäischen Parlament werde ich inzwischen häufiger von der Rüstungsindustrie eingeladen - beispielsweise zum Mittagessen -, und bei solchen Gesprächen wird diese Regelung genauso wie bei uns als Aufrüstungsverpflichtung verstanden. Die Rüstungsindustrie weiß, was sie von diesem Artikel hat: er ist eine Aufrüstungsverpflichtung und soll dafür sorgen, dass die jeweiligen Mitgliedstaaten mehr für militärische Kapazitäten ausgeben. Dies wird insbesondere für die ost- und mitteleuropäischen neuen Mitgliedstaaten eine ganze Reihe von Auswirkungen auch auf die innergesellschaftliche Situation haben.
Drittens: Im EU-Verfassungsvertrag werden im Artikel III-309 die so genannten Petersberg-Aufgaben, die es bisher schon gab, festgeschrieben und ergänzt durch weitere militärische Optionen der Europäischen Union. Der Begriff "Petersberg-Aufgaben" umfasst so genannte humanitäre Aktionen bis hin zu Kampfeinsätzen. Die bisherigen Aufgaben werden ergänzt durch zwei neue Arten von Militäroptionen, eine davon die so genannten "militärischen Abrüstungsmaßnahmen". Dieser Begriff führt regelmäßig zu Verwirrung, weil logischerweise niemand weiß, was darunter zu verstehen ist. Im Bericht, über den wir abgestimmt haben, wird es am besten ausgedrückt, dort heißt es "Entwaffnungsmissionen". Ergo: "Entwaffnungsmissionen" durch Militär, genauer gesagt: mit militärischen Mitteln sollen andere Staaten "abgerüstet" werden.
Unter dieser Aufgabe kann man sich eine ganze Menge vorstellen. Wir hatten im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments dazu eine Debatte, und in diesem Kontext fielen die Stichworte Mazedonien und Irak-Krieg.
Der zweite Aspekt, der zusätzlich zu den Petersberg-Aufgaben eingeführt wird, ist gleichzeitig mein vierter Punkt. Der Verfassungsvertrag besagt, dass Unterstützung für Drittländer geleistet wird "bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet." Das ist völlig neu und bedeutet, dass sich dadurch die Europäische Union in Konflikten konkret auf eine Seite schlagen und dabei das bekämpfen kann, was in dem spezifischen Konflikt als "Terrorismus" bezeichnet wird. Diese Neuerung ist insofern sehr wichtig, als dass sie genau der Praxis entspricht, die die USA durchführt, zum Beispiel auf den Philippinen. Dort sind US-amerikanische und philippinische Truppen dabei, das zu bekämpfen, was dort als "Terrorismus" bezeichnet wird.
Punkt fünf bezieht sich auf die so genannte Rüstungsagentur - inzwischen hat sie den schöneren Namen Verteidigungsagentur. Diese Agentur ist ebenfalls für die europäische Rüstungsindustrie von wesentlicher Bedeutung. Durch sie werden militärische Beschaffungsmaßnahmen nicht nur koordiniert, sondern auch administrativ durchgeführt, und das ist neu.
Punkt sechs ist der Artikel I-41(2), der in der französischen Debatte eine ganz wichtige Rolle spielt. In diesem Artikel wird der NATO eine Rolle in diesem Verfassungsvertrag eingeräumt, und es wird explizit darauf Bezug genommen, dass einige EU-Mitgliedstaaten Teil der NATO sind und dass die EU-Militärpolitik völlig kompatibel sein muss mit der NATO-Politik. Von meinen häufigen Besuchen in Frankreich in der letzten Zeit weiß ich, dass das dort ein ganz wichtiger Aspekt ist. Denn es bedeutet im Grunde genommen, dass die NATO durch die Hintertür über diesen Verfassungsvertrag quasi Teil des Ganzen wird.
Der siebente Punkt ist der Artikel III-304, das wurde schon angedeutet. Wir haben als Europäisches Parlament nach wie vor nur die Möglichkeit, "Anfragen" zum Bereich der Außen- und Militär-Politik zu stellen, und werden "auf dem Laufenden" gehalten. Eine Entscheidungsgewalt zu diesem Themenbereich gibt es für uns nicht.
In dem Kontext ist auch der nächste, der achte, Punkt spannend, Artikel III-376, wonach der Europäische Gerichtshof ebenfalls nicht zuständig ist für den Bereich der Außen- und Militärpolitik. Der EUGH hat in diesem Bereich explizit nichts zu sagen und nichts zu entscheiden.
Bei dem neunten Punkt handelt es sich um die so genannte militärische Solidaritätsklausel, festgeschrieben im Artikel I-43. Dort verpflichten sich die Mitgliedstaaten dazu, sich bei terroristischen Angriffen militärischen Beistand zu leisten. Dieser militärische Beistand geht sogar über den militärischen Beistand der NATO hinaus.
Und - last but not least - die meiner Ansicht nach wichtigste Neuregelung des Verfassungsvertrages im Militärbereich: die so genannte "Strukturierte Zusammenarbeit". Diese Strukturierte Zusammenarbeit beinhaltet, dass einzelne Mitgliedstaaten der Europäischen Union - die, wie es so schön heißt, "untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind", militärpolitisch vorausgehen können, und die anderen Mitgliedstaaten haben nur die Chance einer so genannten konstruktiven Enthaltung. Im Militärbereich, wo ja weitestgehend das Einstimmigkeitsprinzip gilt, bezieht sich dieses Prinzip der Einstimmigkeit also bezüglich der Strukturierten Zusammenarbeit nur auf die Länder, die an dieser Strukturierten Zusammenarbeit teilnehmen.
Das muss man sich mal vorstellen: Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sieht Battle-Groups - 13 Battle-Groups à 1.500 Soldaten - vor und ein European Rapid Reaction Corps mit 60.000 Soldaten. Wenn dann einzelne Staaten sagen, dass sie gemeinsame militärische Aktionen durchführen wollen, und wenn sie das Votum vom Ministerrat bekommen, liegt die Durchführung ausschließlich in den Händen derjenigen, die an den Aktionen teilnehmen. Die anderen haben dabei nichts mehr zu sagen, sie können sich nur konstruktiv enthalten.
Das ist so etwas wie die Festschreibung des militärischen Kerneuropas. Es ist völlig klar, wer diese Option hauptsächlich in Anspruch nehmen wird: das werden die Großen sein, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Man hat für diesen Bereich dem EU-Verfassungsvertrag sogar ein eigenständiges Protokoll angefügt, wo diese Strukturierte Zusammenarbeit detailliert geregelt ist. Es ist also eines der wichtigsten Projekte des Verfassungsvertrages. Auch wenn jetzt über einen Plan B diskutiert wird, taucht immer diese Strukturierte Zusammenarbeit als der Teil auf, der anderweitig geregelt werden müsse. Das zeigt wiederum, wie wichtig dieser Punkt ist.
Warum habe ich am Anfang gesagt: Zehn plus drei Gründe? Weil auch der Kontext wichtig ist. In Artikel I-6 steht, dass dieser Verfassungsvertrag für sich in Anspruch nimmt, Verfassungswirkung zu haben. Das ist für die Rechtswirkung des Verfassungsvertrages ganz wesentlich. Ein Jurist hat das sehr schön beschrieben, er sagte: es ist ja eigentlich weder eine Verfassung noch ist es ein normaler Vertrag zwischen den 25 Mitgliedstaaten. Es ist so eine Art Zwitter. Aber er wird immer mehr zu einer Verfassung, er entwickelt immer mehr Verfassungswirkung. Das ist nicht nur für den Militärbereich von wesentlicher Bedeutung, sondern auch für alle anderen Bereiche. Es bedeutet insbesondere für die Regelungen im Grundgesetz, dass sie Stück für Stück überlagert werden durch die Regelungen im Verfassungsvertrag.
Der zweite Zusatzgrund liegt im EURATOM-Vertrag, welcher eine Förderung der Atomenergie beinhaltet, er bleibt einerseits als einziger EU-vertrag außerhalb des EU-Verfassungsvertrages bestehen und wird andererseits angepasst und Teil des Verfassungsvertrages. Dieser Punkt hat bisher in der Debatte kaum eine Rolle gespielt und beinhaltet natürlich auch eine militärische Komponente.
Und als allerletzter Punkt: Die Grundrechte-Charta, die immer so gelobt wird, der zweite Teil des Verfassungsvertrages, wird durch Erläuterungen wesentlich wieder eingeschränkt. Artikel II-112 verweist auf die 12. Erklärung, wo zu jedem Grundrecht der Charta eine Erläuterung und wesentliche Einschränkungen stehen. Ein Beispiel, das sich auf die Frage von Krieg und Frieden bezieht, zeigt, wie mit der Todesstrafe umgegangen wird. Die Todesstrafe wird in der Grundrechte-Charta in Artikel II-62(2) explizit ausgeschlossen. Aber in der Erläuterung wird das Verbot der Todesstrafe in Bezug auf Krieg oder mögliche Kriegsaktionen und selbst bei Aufständen, wieder so eingeschränkt, dass es nicht mehr gilt. Ich denke, entweder man schreibt das Verbot der Todesstrafe fest, oder man lässt es sein. Aber so eine Öffnung, die sich nicht nur auf Kriege bezieht, sondern auch auf andere Situationen, ist sehr problematisch.
Politisch zusammengefasst: Dieser EU-Verfassungsvertrag verändert die Europäische Union - sollte er angenommen werden -, wesentlich, insbesondere im Bereich der Außen- und Militär-Politik. Damit folgt die Europäische Union den USA auf dem falschen Weg der Militarisierung, und damit soll die Europäische Union zu einem militärisch basierten Global Player werden.
Was wir dagegen wollen, ist eine Europäische Union, die als ziviler Akteur handelt und nicht genau die gleichen Fehler macht, wie sie im Bereich der US-amerikanischen Außen- und Militär-Politik passieren. Deshalb gibt es diesen Aufruf für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa.
Tobias Pflüger - 2005/06/01 13:11
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