Abstimmung über die Europäische Sicherheitsstrategie
Artikel in: europarot - Mai 2005 - Tobias Pflüger
In der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS), die 2003 von den Staats- und Regierungschefs verabschiedet wurde, heißt es: „Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen.“ Am 13. April 2005 debattierte auch das Europäische Parlament über diese Strategie. Der Bericht, der vom SPD-Europaabgeordneten Kuhne zur Abstimmung vorgelegt wurde, befürwortete die ESS bedingungslos.
Die ESS soll für alle EU-Staaten verbindlich sein. Mit der ESS soll die EU-Militärpolitik immer mehr an Planungen präventiver Kriegsführung angeglichen werden. Im Kuhne-Bericht werden aber noch weitergehende Aufrüstungsschritte gefordert, um die EU für eine globale militärische Interventionsfähigkeit unter Rückgriff auf Nato-Kapazitäten abzusichern. Die EU soll – so war es in der Debatte zu hören – zu einem vor allem militärisch basierten Global Player werden.
Um ihre Kritik zu verdeutlichen, hatte die Linksfraktion deshalb ein Minderheitenvotum verfasst, eingereicht im Auswärtigen Ausschuss von meinen Kollegen Jaromír Kohlícek (KP Böhmen und Mährens), Erik Meijer (Sozialistische Partei der Niederlande), Miguel Portas (portugiesischer Linksblock) and Athanasios Pafilis (Kommunistische Partei Griechenlands) und mir. So wird u. a. im Bericht die Zusammenarbeit EU/NATO, insbesondere hinsichtlich gemeinsamer Rüstungsanstrengungen und des Berlin-Plus-Abkommens, in dem der Zugriff der EU auf NATO-Kapazitäten geregelt ist, betont. Dagegen wird nicht erwähnt, welche Gefahren durch die enge Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO für den Status der neutralen Staaten erwachsen. Auch die Bindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an die UN-Charta ist nur ungenügend gewährleistet. So lässt man sich, wie im EU-Verfassungsvertrag, die Tür offen, gegebenenfalls auch ohne UN-Mandat loszuschlagen. Eine Verpflichtung auf die UN-Charta als Ganzes fehlt. Interessant ist zudem, dass dem Bericht zufolge die Bedrohungsanalysen von ESS und US-amerikanischer nationaler Sicherheitsstrategie im Hinblick auf globale Bedrohungen inhaltlich übereinstimmen. Nicht überraschen dürfte, dass völlig heruntergespielt wird, welche Gefahren von der ESS ausgehen und dass man sich zur Bewaffnung der militärischen Interventionskräfte verpflichtet. Welche Kosten dadurch für die europäischen SteuerzahlerInnen anfallen werden, wird nicht weiter ausgeführt. Nicht zuletzt finden sich im Text Lobeshymnen auf den EU-Verfassungsvertrag, um die Militarisierung der EU vertraglich abzusichern zu können.
Im EU-Parlament fiel die Entscheidung für den Kuhne-Bericht mit 421 gegen 90 Stimmen bei 15 Enthaltungen klar aus. Erschreckend ist, dass lediglich die Linksfraktion (GUE/NGL) geschlossen gegen die Resolution stimmte. Ansonsten kam es zu einer ganz großen Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen. Zusammen mit dem überwiegenden Teil der nationalistischen Fraktion „Union für das Europa der Nationen“ (UEN) sprachen sie sich für ein militärisch starkes Europa aus. Der rechtspopulistische FPÖ-Abgeordnete Mölzer forderte in der Debatte: „ Die Behauptung Europas als globale Friedensmacht bedarf einer starken einheitlichen Stimme nach außen und auch der Fähigkeit, diese militärisch und sicherheitspolitisch durchzusetzen.“ Der Berichterstatter Kuhne betonte denn auch noch einmal: „Die Europäische Union braucht in der Tat eine Sicherheitsstrategie. Deshalb hat der Ausschuss auch mit großer Mehrheit das seinerzeit von Javier Solana ausgearbeitete Dokument und die Unterstützung der Regierungen für dieses Dokument begrüßt und weiterentwickelt.“ Ganz offen sagte er in seiner Rede: „Jawohl, auch die Europäische Union möchte sich militärische Entscheidungsstrukturen und militärische Fähigkeiten zulegen.“ Und er betonte noch einmal, dass es zwischen der NATO und der EU im militärischen Bereich keine Widersprüche gäbe: „Es hat aber im Ausschuss eine breite Mehrheit gegeben, die die Sicherheitsstrategie trägt. Sie umfasst Instrumente, wie das Situationszentrum, die zivilmilitärische Planungszelle, die Schaffung der Gefechtsverbände oder der Verteidigungsagentur. Dies sind keine Alternativen zur Nato – die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind ja gleichzeitig Mitgliedstaaten der Nato –, aber sie schaffen der Europäischen Union neue Optionen, die sie bisher nicht hatte. Nur so kann sie sich auch zu einem gleichberechtigten Partner etwa mit den Vereinigten Staaten auf der anderen Seite des Atlantiks entwickeln.“
Von der Linksfraktion hatte mein italienischer Kollege, Vittorio Agnoletto, der als Parteiloser für die Rifondazione Comunista, Mitglied des EU-Parlaments ist, darauf hingewiesen, dass der Bericht „extrem besorgniserregend und gefährlich“ ist. Angelika Beer von den Grünen demonstrierte dagegen einmal mehr militärischen Euroenthusiasmus. Rechtzeitig zu den diesjährigen Ostermärschen hatte sie sich über die Kritik der Friedensbewegung am EU-Verfassungsvertrag beklagt mit der schönen Schlagzeile, „die These von der Militarisierung der EU ist haltlos“. In der Debatte forderte sie freie Bahn für neue Militäreinsätze: „Wir setzen als Europäer neue Schritte. Wir übernehmen zivile und militärische Verantwortung. Die Frage wird sich in absehbarer Zeit im Kosovo stellen.“ So soll es nach dem Willen dieser ganz großen Koalition gehen. Stück für Stück. Eine Militärmission nach der anderen, eine Militärintervention nach der anderen, um Erfahrungen für „echte“ Kampfeinsätze zu sammeln. EU-Soldaten ins Ausland, das ist das Gebot der Stunde für die überwiegende Mehrheit im EU-Parlament. Die Entwicklung in Deutschland in den neunziger Jahren scheint hierfür geradezu als Blaupause zu dienen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass sich gegen den EU-Verfassungsvertrag und die in Marmor gemeißelte vertragliche Militarisierung EU-weit außerparlamentarisch inzwischen mehr und mehr Widerstand zeigt.
In der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS), die 2003 von den Staats- und Regierungschefs verabschiedet wurde, heißt es: „Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen.“ Am 13. April 2005 debattierte auch das Europäische Parlament über diese Strategie. Der Bericht, der vom SPD-Europaabgeordneten Kuhne zur Abstimmung vorgelegt wurde, befürwortete die ESS bedingungslos.
Die ESS soll für alle EU-Staaten verbindlich sein. Mit der ESS soll die EU-Militärpolitik immer mehr an Planungen präventiver Kriegsführung angeglichen werden. Im Kuhne-Bericht werden aber noch weitergehende Aufrüstungsschritte gefordert, um die EU für eine globale militärische Interventionsfähigkeit unter Rückgriff auf Nato-Kapazitäten abzusichern. Die EU soll – so war es in der Debatte zu hören – zu einem vor allem militärisch basierten Global Player werden.
Um ihre Kritik zu verdeutlichen, hatte die Linksfraktion deshalb ein Minderheitenvotum verfasst, eingereicht im Auswärtigen Ausschuss von meinen Kollegen Jaromír Kohlícek (KP Böhmen und Mährens), Erik Meijer (Sozialistische Partei der Niederlande), Miguel Portas (portugiesischer Linksblock) and Athanasios Pafilis (Kommunistische Partei Griechenlands) und mir. So wird u. a. im Bericht die Zusammenarbeit EU/NATO, insbesondere hinsichtlich gemeinsamer Rüstungsanstrengungen und des Berlin-Plus-Abkommens, in dem der Zugriff der EU auf NATO-Kapazitäten geregelt ist, betont. Dagegen wird nicht erwähnt, welche Gefahren durch die enge Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO für den Status der neutralen Staaten erwachsen. Auch die Bindung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an die UN-Charta ist nur ungenügend gewährleistet. So lässt man sich, wie im EU-Verfassungsvertrag, die Tür offen, gegebenenfalls auch ohne UN-Mandat loszuschlagen. Eine Verpflichtung auf die UN-Charta als Ganzes fehlt. Interessant ist zudem, dass dem Bericht zufolge die Bedrohungsanalysen von ESS und US-amerikanischer nationaler Sicherheitsstrategie im Hinblick auf globale Bedrohungen inhaltlich übereinstimmen. Nicht überraschen dürfte, dass völlig heruntergespielt wird, welche Gefahren von der ESS ausgehen und dass man sich zur Bewaffnung der militärischen Interventionskräfte verpflichtet. Welche Kosten dadurch für die europäischen SteuerzahlerInnen anfallen werden, wird nicht weiter ausgeführt. Nicht zuletzt finden sich im Text Lobeshymnen auf den EU-Verfassungsvertrag, um die Militarisierung der EU vertraglich abzusichern zu können.
Im EU-Parlament fiel die Entscheidung für den Kuhne-Bericht mit 421 gegen 90 Stimmen bei 15 Enthaltungen klar aus. Erschreckend ist, dass lediglich die Linksfraktion (GUE/NGL) geschlossen gegen die Resolution stimmte. Ansonsten kam es zu einer ganz großen Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen. Zusammen mit dem überwiegenden Teil der nationalistischen Fraktion „Union für das Europa der Nationen“ (UEN) sprachen sie sich für ein militärisch starkes Europa aus. Der rechtspopulistische FPÖ-Abgeordnete Mölzer forderte in der Debatte: „ Die Behauptung Europas als globale Friedensmacht bedarf einer starken einheitlichen Stimme nach außen und auch der Fähigkeit, diese militärisch und sicherheitspolitisch durchzusetzen.“ Der Berichterstatter Kuhne betonte denn auch noch einmal: „Die Europäische Union braucht in der Tat eine Sicherheitsstrategie. Deshalb hat der Ausschuss auch mit großer Mehrheit das seinerzeit von Javier Solana ausgearbeitete Dokument und die Unterstützung der Regierungen für dieses Dokument begrüßt und weiterentwickelt.“ Ganz offen sagte er in seiner Rede: „Jawohl, auch die Europäische Union möchte sich militärische Entscheidungsstrukturen und militärische Fähigkeiten zulegen.“ Und er betonte noch einmal, dass es zwischen der NATO und der EU im militärischen Bereich keine Widersprüche gäbe: „Es hat aber im Ausschuss eine breite Mehrheit gegeben, die die Sicherheitsstrategie trägt. Sie umfasst Instrumente, wie das Situationszentrum, die zivilmilitärische Planungszelle, die Schaffung der Gefechtsverbände oder der Verteidigungsagentur. Dies sind keine Alternativen zur Nato – die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind ja gleichzeitig Mitgliedstaaten der Nato –, aber sie schaffen der Europäischen Union neue Optionen, die sie bisher nicht hatte. Nur so kann sie sich auch zu einem gleichberechtigten Partner etwa mit den Vereinigten Staaten auf der anderen Seite des Atlantiks entwickeln.“
Von der Linksfraktion hatte mein italienischer Kollege, Vittorio Agnoletto, der als Parteiloser für die Rifondazione Comunista, Mitglied des EU-Parlaments ist, darauf hingewiesen, dass der Bericht „extrem besorgniserregend und gefährlich“ ist. Angelika Beer von den Grünen demonstrierte dagegen einmal mehr militärischen Euroenthusiasmus. Rechtzeitig zu den diesjährigen Ostermärschen hatte sie sich über die Kritik der Friedensbewegung am EU-Verfassungsvertrag beklagt mit der schönen Schlagzeile, „die These von der Militarisierung der EU ist haltlos“. In der Debatte forderte sie freie Bahn für neue Militäreinsätze: „Wir setzen als Europäer neue Schritte. Wir übernehmen zivile und militärische Verantwortung. Die Frage wird sich in absehbarer Zeit im Kosovo stellen.“ So soll es nach dem Willen dieser ganz großen Koalition gehen. Stück für Stück. Eine Militärmission nach der anderen, eine Militärintervention nach der anderen, um Erfahrungen für „echte“ Kampfeinsätze zu sammeln. EU-Soldaten ins Ausland, das ist das Gebot der Stunde für die überwiegende Mehrheit im EU-Parlament. Die Entwicklung in Deutschland in den neunziger Jahren scheint hierfür geradezu als Blaupause zu dienen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass sich gegen den EU-Verfassungsvertrag und die in Marmor gemeißelte vertragliche Militarisierung EU-weit außerparlamentarisch inzwischen mehr und mehr Widerstand zeigt.
Tobias Pflüger - 2005/06/06 03:21
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