Ein Militärbündnis auf falscher Grundlage
Debattenbeitrag in: Neues Deutschland, 09.10.2010
Ja, natürlich hat die EU noch eine Existenzberechtigung. Die Europäische Union ist eine existierende zwischenstaatliche Institution. Zu klären ist allerdings die Haltung der Partei DIE LINKE zu ihr.
Die Kritik und Ablehnung des Lissabon-Vertrags ist schon länger Programmatik der Linkspartei. Im Europawahlprogramm von 2009 heißt es: »Unsere Ablehnung des Vertrages richtete und richtet sich weiterhin vor allem gegen die in diesem Vertragstext enthaltenen Aussagen zur Militarisierung der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik, gegen die Grundausrichtung der EU an den Maßstäben neoliberaler Politik und gegen den Verzicht auf eine Sozialstaatsklausel, ohne die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf tönernen Füßen stehen, gegen die angestrebte Art der verstärkten Zusammenarbeit der Polizei- und Sicherheitsdienste sowie gegen das weiter bestehende Demokratiedefizit in der EU und ihren Institutionen.«
Nun ist der Lissabon-Vertrag in Kraft. Wird deshalb die Kritik daran plötzlich falsch? Nein! Im Gegenteil, in der konkreten Politik der EU-Gremien seit Inkrafttreten des Vertrages zeigt sich, wie sehr die Kritik der LINKEN richtig war und ist. Kurz einige Beispiele:
Militärpolitisch hat die EU mit dem Lissabon-Vertrag neue Instrumente und Verfahren an der Hand. Zentral ist hier der neue »Europäische Auswärtige Dienst« (EAD), eine Behörde mit etwa 8000 Mitarbeitern, in der die Bereiche Auswärtiges, Militär- und Entwicklungspolitik zusammengefasst und dadurch einer militärischen Logik unterworfen werden. Die zuständigen Berichterstatter des Europäischen Parlamentes sehen darin einen »kohärenten auswärtigen Dienst, der die Basis für eine durchsetzungsfähige und handlungsfähige EU auf globaler Ebene bietet.«
Die neue »ständige strukturierte Zusammenarbeit« schafft ein militärisches Kerneuropa. Heinz-Josef Kruse, Hauptabteilungsleiter der Rheinmetall AG, meint dazu im »Behördenspiegel«, dies laufe auf die Entstehung eines europäischen »militärischen Kernlands« hinaus. Mit der neuen Beistandsklausel und der Solidaritätsklausel wird die EU zu einem Militärbündnis. »Durch die Hintertür werden Beistandsklauseln eingeführt, die sogar schärfer sind, als die der NATO«, so der Rüstungsmann Kruse.
Wirtschaftspolitisch hat der im Vertrag von Lissabon festgeschriebene Stabilitäts- und Wachstumspakt die Finanzkrise enorm verschärft. Besonders dumm ist das Verbot von Kapitalverkehrskontrollen im Lissabon-Vertrag. Auch die Kritik an der demokratischen Verfasstheit der EU nach dem Lissabon-Vertrag hat sich bestätigt. Eine demokratische, soziale und ökologische Politik lässt sich mit diesem Aufbau (EU-Rat und Kommission mit viel Macht, Europäisches Parlament nach wie vor sehr schwach) kaum durchsetzen.
Noch einmal sei das Europawahlprogramm zitiert: »Europa braucht ein Verfassungswerk, über das alle Bürgerinnen und Bürger in der Union am selben Tag abstimmen können. Das ist die unverzichtbare Voraussetzung für die demokratische Neubegründung der Europäischen Union.« Nach Ansicht der LINKEN bedarf es also eines neuen Grundlagenvertrages für die EU und damit einer Neugründung der Union an sich.
Einigen in der LINKEN geht die Konsequenz dieser programmatischen Punkte verloren: Die Institution Europäische Union kann somit auf der Basis des Lissabon-Vertrages kein positiver Bezugspunkt sein. Die Europäische Union nach dem Lissabon-Vertrag ist eine andere EU als zuvor. Sie ist mit dem Vertrag von Lissabon auch ein Militärbündnis geworden. Will die LINKE sich positiv auf ein Militärbündnis beziehen? Nun ist nicht mehr nur die konkrete Ausformung des Bündnisses EU ein Problem, sondern die Institution als solche. Dies gilt zumindest solange der Vertrag von Lissabon die Grundlage der EU ist.
Die politischen Zielforderungen sind damit klar: Für einen neuen Grundlagenvertrag der EU, für eine demokratische Neugründung der EU anstelle der heutigen Union auf Grundlage des Lissabon-Vertrags.
Die Linkspartei muss die zentralen Eckpfeiler des Lissabon-Vertrages angreifen, die die Grundlage z. B. für die falsche Wirtschafts- oder Außenpolitik der EU sind. Konkret heisst das, im Wirtschaftsbereich z. B. die Streichung des Verbots von Kapitalverkehrskontrollen, die Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel und die Abschaffung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie deren Ersetzung durch einen Pakt für außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu fordern. Im Militärbereich sind die Streichung der Aufrüstungsverpflichtung, der Beistandsklausel und der Solidaritätsklausel, der primärrechtlichen Verankerung der Europäischen Rüstungsagentur und des militärisch durchsetzten EAD sowie die Ablehnung der Auslandseinsätze zentrale Forderungen.
Nicht hilfreich in dieser Diskussion ist es, mit Vokabeln wie pro- oder anti-europäisch zu hantieren. Darum geht es nämlich nicht. Es geht nicht um ein abstraktes europäisches Projekt, sondern um die EU von heute auf der Basis des Lissabon-Vertrages. Mit unfundierter Europaeuphorie, die auf die EU projiziert wird, wird man der realen Europäischen Union und ihrer Politik nicht gerecht.
Tobias Pflüger, Jahrgang 1965, ist Mitglied des erweiterten Parteivorstand der Linkspartei. Von 2004 bis 2009 war er Abgeordneter im Europaparlament, 1996 gründete er die Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen mit.
Ja, natürlich hat die EU noch eine Existenzberechtigung. Die Europäische Union ist eine existierende zwischenstaatliche Institution. Zu klären ist allerdings die Haltung der Partei DIE LINKE zu ihr.
Die Kritik und Ablehnung des Lissabon-Vertrags ist schon länger Programmatik der Linkspartei. Im Europawahlprogramm von 2009 heißt es: »Unsere Ablehnung des Vertrages richtete und richtet sich weiterhin vor allem gegen die in diesem Vertragstext enthaltenen Aussagen zur Militarisierung der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik, gegen die Grundausrichtung der EU an den Maßstäben neoliberaler Politik und gegen den Verzicht auf eine Sozialstaatsklausel, ohne die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf tönernen Füßen stehen, gegen die angestrebte Art der verstärkten Zusammenarbeit der Polizei- und Sicherheitsdienste sowie gegen das weiter bestehende Demokratiedefizit in der EU und ihren Institutionen.«
Nun ist der Lissabon-Vertrag in Kraft. Wird deshalb die Kritik daran plötzlich falsch? Nein! Im Gegenteil, in der konkreten Politik der EU-Gremien seit Inkrafttreten des Vertrages zeigt sich, wie sehr die Kritik der LINKEN richtig war und ist. Kurz einige Beispiele:
Militärpolitisch hat die EU mit dem Lissabon-Vertrag neue Instrumente und Verfahren an der Hand. Zentral ist hier der neue »Europäische Auswärtige Dienst« (EAD), eine Behörde mit etwa 8000 Mitarbeitern, in der die Bereiche Auswärtiges, Militär- und Entwicklungspolitik zusammengefasst und dadurch einer militärischen Logik unterworfen werden. Die zuständigen Berichterstatter des Europäischen Parlamentes sehen darin einen »kohärenten auswärtigen Dienst, der die Basis für eine durchsetzungsfähige und handlungsfähige EU auf globaler Ebene bietet.«
Die neue »ständige strukturierte Zusammenarbeit« schafft ein militärisches Kerneuropa. Heinz-Josef Kruse, Hauptabteilungsleiter der Rheinmetall AG, meint dazu im »Behördenspiegel«, dies laufe auf die Entstehung eines europäischen »militärischen Kernlands« hinaus. Mit der neuen Beistandsklausel und der Solidaritätsklausel wird die EU zu einem Militärbündnis. »Durch die Hintertür werden Beistandsklauseln eingeführt, die sogar schärfer sind, als die der NATO«, so der Rüstungsmann Kruse.
Wirtschaftspolitisch hat der im Vertrag von Lissabon festgeschriebene Stabilitäts- und Wachstumspakt die Finanzkrise enorm verschärft. Besonders dumm ist das Verbot von Kapitalverkehrskontrollen im Lissabon-Vertrag. Auch die Kritik an der demokratischen Verfasstheit der EU nach dem Lissabon-Vertrag hat sich bestätigt. Eine demokratische, soziale und ökologische Politik lässt sich mit diesem Aufbau (EU-Rat und Kommission mit viel Macht, Europäisches Parlament nach wie vor sehr schwach) kaum durchsetzen.
Noch einmal sei das Europawahlprogramm zitiert: »Europa braucht ein Verfassungswerk, über das alle Bürgerinnen und Bürger in der Union am selben Tag abstimmen können. Das ist die unverzichtbare Voraussetzung für die demokratische Neubegründung der Europäischen Union.« Nach Ansicht der LINKEN bedarf es also eines neuen Grundlagenvertrages für die EU und damit einer Neugründung der Union an sich.
Einigen in der LINKEN geht die Konsequenz dieser programmatischen Punkte verloren: Die Institution Europäische Union kann somit auf der Basis des Lissabon-Vertrages kein positiver Bezugspunkt sein. Die Europäische Union nach dem Lissabon-Vertrag ist eine andere EU als zuvor. Sie ist mit dem Vertrag von Lissabon auch ein Militärbündnis geworden. Will die LINKE sich positiv auf ein Militärbündnis beziehen? Nun ist nicht mehr nur die konkrete Ausformung des Bündnisses EU ein Problem, sondern die Institution als solche. Dies gilt zumindest solange der Vertrag von Lissabon die Grundlage der EU ist.
Die politischen Zielforderungen sind damit klar: Für einen neuen Grundlagenvertrag der EU, für eine demokratische Neugründung der EU anstelle der heutigen Union auf Grundlage des Lissabon-Vertrags.
Die Linkspartei muss die zentralen Eckpfeiler des Lissabon-Vertrages angreifen, die die Grundlage z. B. für die falsche Wirtschafts- oder Außenpolitik der EU sind. Konkret heisst das, im Wirtschaftsbereich z. B. die Streichung des Verbots von Kapitalverkehrskontrollen, die Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel und die Abschaffung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie deren Ersetzung durch einen Pakt für außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu fordern. Im Militärbereich sind die Streichung der Aufrüstungsverpflichtung, der Beistandsklausel und der Solidaritätsklausel, der primärrechtlichen Verankerung der Europäischen Rüstungsagentur und des militärisch durchsetzten EAD sowie die Ablehnung der Auslandseinsätze zentrale Forderungen.
Nicht hilfreich in dieser Diskussion ist es, mit Vokabeln wie pro- oder anti-europäisch zu hantieren. Darum geht es nämlich nicht. Es geht nicht um ein abstraktes europäisches Projekt, sondern um die EU von heute auf der Basis des Lissabon-Vertrages. Mit unfundierter Europaeuphorie, die auf die EU projiziert wird, wird man der realen Europäischen Union und ihrer Politik nicht gerecht.
Tobias Pflüger, Jahrgang 1965, ist Mitglied des erweiterten Parteivorstand der Linkspartei. Von 2004 bis 2009 war er Abgeordneter im Europaparlament, 1996 gründete er die Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen mit.
Tobias Pflüger - 2010/10/09 16:40
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