Karlsruhe kassiert EU-Haftbefehl - Auslieferung soll dem Rechtsstaat angemessen erfolgen / Deutsch-syrischer Kläger frei

Pressebericht in: Neues Deutschland - 19.07.05

Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl am Montag für nichtig erklärt. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) kündigte einen neuen Entwurf in vier bis sechs Wochen an.
Berlin (Agenturen/ND). Mutmaßliche Straftäter mit deutschem Pass dürfen vorerst nicht mehr an andere EU-Staaten ausgeliefert werden. Damit gab der Zweite Senat der Verfassungsbeschwerde des Deutsch-Syrers Mamoun Darkazanli statt, der nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Die Auslieferung Deutscher ist nicht mehr möglich, solange der Bundestag kein neues Gesetz erlässt. Darkazanli wurde am Montag auf freien Fuß gesetzt. Auch in Hessen wurde ein Verdächtiger entlassen. Der mutmaßliche Drogenhändler sollte nach Polen ausgeliefert werden. Nach Angaben der Bundesregierung waren bisher 19 Deutsche von Auslieferungsverfahren betroffen.

Nach Ansicht der Verfassungshüter kann der im Grundgesetz geregelte Schutz Deutscher vor Auslieferung zwar prinzipiell eingeschränkt werden, wie es die EU-Kommission beschlossen hatte, jedoch hätte der EU-Rahmenbeschluss »schonend« umgesetzt werden müssen. Die Grundrechtseinschränkungen der Verfolgten müssten verhältnismäßig bleiben. Deutsche dürften nicht ausgeliefert werden, wenn ihre Taten einen maßgeblichen Inlandsbezug haben. Nur wer sich überwiegend im Ausland strafbar gemacht hat, muss damit rechnen, sich einem ihm fremden Straf- und Prozessrecht unterwerfen zu müssen. Dem Gericht zufolge muss nun künftig auch in jedem Einzelfall durch ein Gericht geprüft werden, ob bei einer Auslieferung die Rechte des Verfolgten gewahrt werden.

Bei Taten mit »maßgeblichem Auslandsbezug« könnten – ein neues Gesetz vorausgesetzt – auch Verdächtige mit deutschem Pass ans EU-Ausland überstellt werden. Wer in einer anderen Rechtsordnung handle, müsse damit rechnen, dort zur Verantwortung gezogen zu werden. Das gelte beispielsweise auch für den internationalen Terrorismus oder den organisierten Drogen- oder Menschenhandel.

Die Karlsruher Richter mahnten zudem einen stärkeren Rechtsschutz gegen Auslieferungsentscheidungen an. Drei der acht Richter des Senats formulierten abweichende Meinungen und forderten teils einen stärkeren Auslieferungsschutz, teils votierten sie gegen die Nichtigkeit des Gesetzes.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) reagierte verärgert. Das Urteil sei »ein weiterer Rückschlag für die Bundesregierung bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus«, sagte die Ministerin in Karlsruhe. Es werde zu einer Bürokratisierung des gerade erst vereinfachten Verfahrens führen. Das Gesetz war im August 2004 in Kraft getreten.

Nach den Worten des SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz jedoch muss der Bundestag sich vorhalten lassen, unkritisch europäische Vorgaben übernommen zu haben. »Ich finde, dass der Gesetzgeber nicht eine seiner besten Leistungen abgeliefert hat«, sagte er dem »Kölner Stadtanzeiger«. Der Rechtsexperte der Grünen im Bundestag, Jerzy Montag, tat gar kund, dass das Gericht »unsere Überzeugung« gestärkt habe, dass der Bundestag nicht nur der Notar der Europäischen Union ist«. Die FDP sah sich durch das Urteil in ihren Bedenken gegen den EU-Haftbefehl bestätigt. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) forderte den Bundestag auf, künftig selbstbewusster mit dem europäischen Recht umzugehen. Das Parlament müsse seine Kontroll- und Gesetzgebungsaufgabe bei der Umsetzung der Brüsseler Bestimmungen wahrnehmen.

Die EU-Abgeordnete der am Wochenende umbenannten Linkspartei und EU-Parlamentsvizepräsidentin Sylvia-Yvonne Kaufmann nannte das Urteil eine »schallende Ohrfeige« für den Bundestag. Ihr Fraktionskollege Tobias Pflüger erinnerte daran, dass Jerzy Montag nach Verabschiedung des Gesetzes den Haftbefehl als »weiteren Baustein des europäischen Raums der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts« gelobt hatte. Vielmehr, so Pflüger, seien die Bundestagsparteien bereit gewesen, »Freiheitsgarantien und rechtsstaatliche Sicherungen abzubauen«.

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