Berührung ohne Verführung - OFFENER BRIEF*Außerparlamentarische Gruppen fordern die Linkspartei zu stärkerem antirassistischem Engagement auf

Pressebericht in: Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung 29 - 22.07.05 - Steffen Vogel

Links von der SPD tut sich derzeit einiges. Die Betriebsamkeit und das Aufsehen um die Linkspartei sind auch an der außerparlamentarischen Linken nicht spurlos vorüber gegangen. Über 200 Einzelpersonen und Gruppen haben einen "Offenen Brief sozialer und politischer Basisorganisationen" unterschrieben, der am vergangenen Sonntag auf dem PDS-Parteitag in Berlin verteilt wurde. Die Kooperation von Die Linke.PDS und WASG bei der Bundestagswahl wird dort goutiert, da sie einen generellen Auftrieb für linke Politik bedeuten kann. Parteien und soziale Bewegungen agierten zwar in "unterschiedlichen Realitäten", doch könne eine starke Präsenz im Bundestag auch das Handeln außerparlamentarischer Gruppen erleichtern. Übereinstimmungen zur Linkspartei sehen die Unterzeichner in der Sozialpolitik, etwa bei der Ablehnung von Hartz IV oder beim Konzept eines angemessenen Grundeinkommens. Gleichzeitig dürfe "die Thematisierung der sozialen Frage ... auf keinen Fall auf dem Rücken anderer ausgetragen werden. Rassistische, diskriminierende und nationalistische Untertöne haben in linken Parteien keinen Platz". Deswegen halten es die Unterzeicher für geboten, dass sich die beiden Parteien intensiver für Flüchtlingsrechte engagieren. So sollen sie sich unter anderem gegen die Ausbürgerung von über 100.000 Menschen einsetzen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, sich gegen Abschiebungen und für illegal in Deutschland lebende Menschen stark machen.

Angestoßen wurde der Brief von den Berliner Gruppen Für eine linke Strömung (FelS) und der Antifaschistischen Linken (ALB), die seit Jahren zu den kreativsten außerparlamentarischen Kräften der Hauptstadt zählen. Der Text hatte ein wahrnehmbares Echo. Zu den Unterzeichnern zählen höchst unterschiedliche Gruppen und Personen aus dem gesamten Bundesgebiet: von diversen Antifa-Gruppen, flüchtlingspolitischen und globalisierungskritischen Initiativen bis hin zu linken Christen sowie zahlreichen Wissenschaftlern und Publizisten. Neben einzelnen Gewerkschaftern wie dem Vorstandsmitglied der hessischen DGB-Landesjugend Kolja Möller finden sich auch Mitglieder und Untergliederungen von Die Linke.PDS und WASG bei den Unterstützern, darunter Tobias Pflüger, der als parteiloser Kandidat für die PDS ins Europaparlament eingezogen ist, sowie der Bundessprecherrat des Jugendverbands [´solid].

Die große öffentliche Aufmerksamkeit, die der Linkspartei zuteil wird, soll genutzt werden, um antirassistische Positionen in den Wahlkampf zu tragen. Doch stellt der Brief keine unmittelbare Reaktion auf Lafontaines "Fremdarbeiter"-Äußerung dar, wie Ingo Stützle von FelS erklärt. Vielmehr habe man den Brief schon vor dem so heiß diskutierten Auftritt des Saarländers in Chemnitz schreiben wollen. Jenen Kräften bei PDS und WASG, die sich besonders gegen Rassismus und für die Rechte der Migranten einsetzen, wolle man "den Rücken stärken". Diese Botschaft scheint angekommen zu sein. Zuspruch habe der Vorstoß auf dem jüngsten PDS-Parteitag - so berichtet Stützle - beispielsweise bei Parteimitgliedern gefunden, die in Ostdeutschland antirassistisch engagiert sind oder sich in Sachsen mit einer erstarkten NPD herumschlagen müssen. Die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping habe sogar versucht, der Initiative Rederecht einzuräumen, was allerdings am straffen Zeitplan gescheitert sei. Bei der Linkspartei befinde sich momentan "relativ viel im Fluss", wie Stützle sagt, so dass es nicht gänzlich unrealistisch erscheine, einzelne Punkte auch im Programm zu verankern. Stützle verweist auf Nichi Vendola, der bei den jüngsten italienischen Kommunalwahlen im Frühjahr als Kandidat der Rifondazione Comunista zum Präsident der Region Apulien gewählt wurde. Vendola sorgte Anfang Juli für Aufsehen, als er für die bedingungslose und sofortige Schließung aller so genannten "Zentren für temporären Aufenthalt" - zu Deutsch: Flüchtlingslager - eintrat. Dieses Verlangen will Vendola nun zusammen mit den Präsidenten anderer Regionen im Wahlprogramm des für die Parlamentswahlen 2006 geplanten Mitte-Links-Bündnisses verankern.

Was sonst aus dem Offenen Brief der außerparlamentarischen Gruppen folgt, ist unklar. Für seine Gruppe schließt Stützle eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei außerhalb lokaler Bündnisse aus. Das gelte aber nicht zwangsläufig für den gesamten Kreis der Unterzeichner, schließlich sei dieser ziemlich groß. Für die Linkspartei stellt ein solcher Vorstoß in jedem Fall eine Herausforderung dar. Denn in den vergangenen Wochen haben führende Vertreter sowohl von PDS als auch von WASG wiederholt erklärt, eine noch zu gründende vereinigte Linkspartei solle Raum für die gesamte Linke bieten. Der Jugendverband [´solid] hat den Ball schon angenommen: "Für eine Fraktion, die sich als parlamentarischer Ausdruck von sozialen Bewegungen begreifen sollte, ist ... der Dialog, die Unterstützung und der Rückhalt in sozialen Bewegungen unabdingbar; mindestens genauso wichtig ist eine kritische Begleitung parlamentarischer Arbeit und eine aktive Einflussnahme von sozialen und politischen Basisorganisationen."

Für außerparlamentarische Linke besteht in der Initiative eine Chance und eine Gefahr zugleich. Nur wenige ihrer Gruppen arbeiten kontinuierlich bundesweit, wie etwa Attac und die Bundeskoordination Internationalismus. Viele Kampagnen werden hingegen von oft nur lose vernetzten lokalen Bündnissen und Gruppen getragen. Parteien wie Die Linke.PDS verfügen über eine erheblich stärkere Infrastruktur - hauptamtliche Aktive, ausgeprägte Angebote bei der politischen Bildung, professionalisierte Kampagnen - und werden in den Medien anders wahrgenommen. Außerparlamentarische Projekte können also von möglichen Kooperationen profitieren. Zugleich ist Parteinähe für soziale Bewegungen immer mit dem Risiko verbunden, die eigene Autonomie zugunsten einer übertriebenen Rücksichtnahme - etwa im Wahlkampf - aufzugeben. So bestand vor dem Kosovo-Krieg ein folgenreicher Fehler der Friedensbewegung in ihrer zu engen Tuchfühlung mit den Bündnisgrünen.

http://www.offener-brief-an-linkspartei.de

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