Offener Brief zur möglichen Änderung des Stammzellimportgesetzes

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit großem Interesse, aber auch großer Sorge verfolgen wir die Diskussion in Deutschland über eine mögliche Änderung des Stammzellimportgesetzes.

Wir sind sicher, dass der Deutsche Bundestag seine Entscheidung in dieser Frage nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Argumente fällt, und wir möchten bekräftigen, dass diese Frage auch nach unserem Verständnis souverän vom nationalen Parlament entschieden werden muss. Die Europäische Union sollte in diesem Bereich keine gesetzlichen Vorgaben machen. Trotzdem möchten wir unsere Auffassung zum Ausdruck bringen, da die internationale Debatte oft einseitig als Argument für eine Lockerung des Stammzellimportgesetzes und des Embryonenschutzgesetzes zitiert wird.

Wir sind davon überzeugt, dass auch aus europäischer Sicht sehr viel dafür spricht, die gegenwärtige Regelung beizubehalten. Es ist nicht richtig, wenn behauptet wird, dass die europäischen Institutionen sich generell für eine unbegrenzte Forschung mit embryonalen Stammzellen aussprechen. Es ist auch nicht richtig, wenn gesagt wird, dass Deutschland in der EU mit seiner am Embryonenschutz orientierten Position alleine ist. Das Europäische Parlament hat sich mehrfach gegen verbrauchende Embryonenforschung ausgesprochen, unter anderem in zwei Resolutionen aus dem Jahr 2005. Leider ist es uns nicht gelungen, einen Antrag, der eine feststehende Stichtagsregelung für das 7. Forschungsrahmenprogramm vorsah, im Plenum des Europäischen Parlaments durchzusetzen. Allerdings muss auch betont werden, dass die erforderliche Mehrheit nur um 19 Stimmen verfehlt wurde und dass bei denjenigen, die sich der Stichtagslösung nicht anschließen wollten, auch eine Reihe von Abgeordneten waren, die sich aus grundsätzlichen Erwägungen jeglichen Kompromissen in dieser Frage verweigerten und ausschließlich für eine härtere Regelung plädierten. Der Stichtagskompromiss ging also einigen nicht weit genug und anderen zu weit, trotzdem war er sehr nah an der Mehrheitsfähigkeit. Viele Staaten in der Europäischen Union orientieren sich in ihrer nationalen Gesetzgebung am deutschen Embryonenschutzgesetz. Die verbrauchende Embryonenforschung ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in neun anderen EU-Ländern unzulässig. Gewiss ist die Lösung, die das Europäische Parlament und der Ministerrat in diesem ethischen Bereich gefunden haben, aus Sicht der deutschen Rechtslage nicht zufriedenstellend. Wir hätten uns eine strengere Regelung bei der Vergabe europäischer Forschungsmittel gewünscht, allerdings haben diejenigen Unrecht, die behaupten, dadurch sei eine neue Lage entstanden. Seit Beginn des Jahres 2004 fördert die Europäische Kommission Forschungen mit embryonalen Stammzellen, ohne dass die gültige deutsche Stichtagsregelung respektiert wird. Schon seit einigen Jahren wird also europäisch etwas gefördert, das dem deutschen Gesetz nicht entspricht. Diejenigen, die meinen, man hätte aus diesen Gründen das Stammzellimportgesetz ändern müssen, hätten sich drei Jahre früher melden müssen. Auch die sachlichen Argumente, die gegen das jetzt gültige deutsche Stammzellimportgesetz vorgetragen werden, sind nicht so überzeugend, dass die ethischen Erwägungen für das Gesetz irrelevant werden. Schon vor der Verabschiedung des deutschen Gesetzes wurde das Argument, dass die bestehenden Stammzelllinien weniger gut geeignet seien als eventuell neue Stammzelllinien, immer wieder vorgetragen. Bisher ist die embryonale Stammzellforschung allerdings auch in Ländern mit sehr liberaler Regelung wie Großbritannien, China oder Südkorea den Beweis schuldig geblieben, dass es konkrete therapeutische Fortschritte gibt. Dahingegen werden schon heute mithilfe von adulten Stammzellen sehr viele Patienten behandelt, zum Teil sehr erfolgreich.

Wir möchten Sie daher bitten, die vorliegenden Argumente in der anstehenden Diskussion in Deutschland und insbesondere im Deutschen Bundestag zu würdigen und sich gegen eine Aufweichung des deutschen Stammzellimportgesetzes auszusprechen.




Angelika Beer
Rolf Berend
Reimer Böge
Hiltrud Breyer
Dr. André Brie
Elmar Brok
Daniel Caspary
Albert Deß
Karl-Heinz Florenz
Dr. Ingo Friedrich
Michael Gahler
Evelyne Gebhardt
Prof. Dr. Alfred Gomolka
Rebecca Harms
Ruth Hieronymi
Elisabeth Jeggle
Gisela Kallenbach
Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann
Ewa Klamt
Christa Klaß
Dr. Dieter-Lebrecht Koch
Helmut Kuhne
Wolfgang Kreissl-Dörfler
Dr. Werner Langen
Kurt Lechner
Dr. med. Peter Liese
Thomas Mann
Dr. Helmuth Markov
Prof. Dr. Hans-Peter Mayer
Hartmut Nassauer
Dr. Angelika Niebler
Cem Özdemir
Doris Pack
Tobias Pflüger
Willy Piecyk
Dr. Markus Pieper
Prof. Dr. Horst Posdorf
Bernd Posselt
Mechthild Rothe
Heide Rühle
Dr. Horst Schnellhardt
Dr. Andreas Schwab
Dr. Renate Sommer
Dr. Gabriele Stauner
Feleknas Uca
Dr. med. Thomas Ulmer
Sahra Wagenknecht
Manfred Weber
Dr. Anja Weisgerber
Dr. Karl von Wogau
Gabriele Zimmer

Trackback URL:
https://tobiaspflueger.twoday.net/stories/3066175/modTrackback

logo
tobias pflueger DieLinke_RGB


Startseite
Über mich
Kontakt

Suche

 

RSS-Feed: Informationsstelle Militarisierung

Aufrüstung unter dem Stern desSchengen-Beitritts
————————————–...
IMI - 2024/05/02 16:01
Aufrüstung und Grenzgewalt unter dem Stern des bulgarischen Schengen-Beitritts
Die türkisch-bulgarische Grenze gilt unter Nichtregierungsorganisatio nen...
IMI - 2024/05/02 13:57
Klaus Gestwa: Kein Wissenschaftspreis für Kriegspropaganda!
— Einer der vehementesten Fürsprecher für Waffenlieferungen...
IMI - 2024/04/30 11:07
Warnung vor einer Senkung der Hemmschwelle durch den Einsatz...
Expert:innen im Bereich unbemenschter Systeme fordern,...
IMI - 2024/04/29 09:55
Umschalten auf Kriegswirtschaft
Anfang März 2024 legte die Europäische Kommission zwei...
IMI - 2024/04/24 03:57

Archiv

Status

Online seit 7176 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2013/01/26 00:43

User Status

Du bist nicht angemeldet.