»Berg frei« in Mittenwald

Pressebericht in: junge Welt, 23.05.2007

Antifaschisten rufen zu Protesten gegen Traditionstreffen der Gebirgsjäger in Bayern auf. Internationale Konferenz mit Zeitzeugen


Ernst Antoni / Ulrich Sander

»Berg frei! Nie wieder Faschismus, nie wieder Horrido!« ist das Motto von Antifaschistinnen und Antifaschisten, die sich Pfingsten auf den Weg in das bayerische Mittenwald machen. Dort treffen sich auf dem Hohen Brendten bereits zum 50. Mal Wehrmachtsveteranen, ehemalige und aktive Bundeswehrsoldaten sowie deren Sympathisanten. Bei dieser Traditionspflege der Gebirgstruppen werden die Kriegsverbrechen im Rahmen des faschistischen Vernichtungskrieges unter den Tisch gekehrt. Unter dem Deckmantel der »Bandenbekämpfung« oder als »Vergeltungsmaßnahmen« für angebliche oder tatsächliche Widerstandsaktionen der Zivilbevölkerung und von Partisanen verübten Einheiten der Gebirgsjäger über 50 Massaker in Griechenland, Italien, Frankreich, Finnland, Jugoslawien, Polen, Albanien und in der Sowjetunion. Im nordgriechischen Dorf Kommeno ermordeten sie 317 Zivilisten, und auf Kephallonia, einer Insel bei Korfu, metzelten sie über 5000 entwaffnete italienische Soldaten nieder.

»Nie wieder! – Das ist unsere Aufgabe, so lange wir leben«, sagte Ernst Grube als Vertreter der Lagergemeinschaft Dachau Ende April in Mittenwald. Der KZ-Überlebende sprach dort zur Einweihung eines von 22 Mahnmalen, die entlang der Todesmarsch-Strecke des KZ Dachau an die Verbrechen des Faschismus erinnern. In Mittenwald hat das Mahnmal trotz vieler Forderungen keinen zentralen Platz bekommen. Nach langen Diskussionen, meist unter Ausschluß der Öffentlichkeit, hatten die politisch Verantwortlichen in dem höchstgelegener Kurort Deutschlands zwar beschlossen, der Opfer der KZ-Todesmärsche zu gedenken. Allerdings nicht im Ortskern, sondern mit einer Tafel, die auf dem Friedhof an einer bereits vorhandenen Figur einer Trauernden angebracht wurde.

An den Pfingsttagen wird Ernst Grube erneut in Mittenwald sein. Als Landessprecher der bayerischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) und als Zeitzeuge nimmt er an den Protesten gegen das von der Bundeswhr unterstützte Treffen der Gebirgsjägerkameradschaft teil. Aus seiner Sicht kann aus der Gedenktafel für die Opfer der Todesmärsche nur ein »Erinnern für die Zukunft« werden, wenn ein Umdenken der am Bundeswehrstandort Mittenwald Verantwortlichen stattfindet und die »Traditionspflege« der Gebirgsjägerkameradschaft samt der jährlichen »Pfingstwallfahrten« endlich eingestellt werden.

Bei den antifaschistischen Veranstaltungen in Mittenwald steht in diesem Jahr das Klageerzwingungsverfahren wegen des Wehrmachtsmassakers im September 1943 auf der griechischen Insel Kephallonia im Mittelpunkt. Die Massenexekution durch Mitglieder des Gebirgsjägerregiments 98 der 1. Gebirgsdivision gilt als eines der schwersten Kriegsverbrechen der Hitlerfaschisten. Die Namen von 4000 ermordeten unbewaffneten italienischen Kriegsgefangenen werden auf einer Gedenkveranstaltung am Pfingstsonntag vor der katholischen Kirche in Mittenwald verlesen. Ihre Mörder blieben in Deutschland unbehelligt.

»Gegen die Straflosigkeit der NS-Kriegsverbrecher« ist das Thema eines am Pfingstsamstag stattfindenden Zeitzeugengesprächs, an dem Marcella und Enzo de Negri, die Tochter und der Sohn des auf Kephallonia von Gebirgsjägern ermordeten Hauptmanns Francesco De Negri teilnehmen werden. Weiterhin wird der ehemalig Partisan Nikos Fofas aus Kephallonia erwartet, der in der griechischen Widerstandsbewegung ELAS kämpfte und italienischen Soldaten zur Flucht in die Berge verhalf. Mit Richard Wadani (Wien) wird zudem ein Widerstandskämpfer dabei sein, der 1944 in Frankreich aus der deutschen Wehrmacht desertierte und in tschechischer Uniform als alliierter Soldat Österreich befreien half.

Nachdem inzwischen mehrere Kriegsverbrecher aus Hitlers Gebirgstruppe in Italien zu lebenslänglichen Zuchthausstrafen verurteilt wurden, setzen sich die Gruppe »Angreifbare Traditionspflege« und die VVN-BdA verstärkt dafür ein, daß Kriegsverbrecher, die in Deutschland Straffreiheit genießen, entweder nach Italien ausgeliefert oder in Deutschland verhaftet und ihrer Strafe zugeführt werden.

Insbesonders geht es dabei um Otmar Mühlhauser aus Dillingen an der Donau und Josef Scheungraber in Ottobrunn bei München. Mühlhauser hatte am 24. September 1943 auf Kephallonia das Kommando gegeben, den italienischen General Antonio Gandin und mindestens zwölf seiner Offiziere zu erschießen, darunter auch de Negri. Der ehemalige Kompanieführer im Gebirgspionierbataillon 818 Scheungraber ist für die grausame Ermordung von 14 Menschen im Juni 1944 in dem toskanischen Dorf Falzano bei Arezzo verantwortlich. Vor den Wohnhäusern der beiden Verurteilten sind für Freitag Kundgebungen angekündigt. Treffpunkte sind um 16 Uhr vor dem Lidl in Dillingen (Am Stadtberg 1) und um 17 Uhr am S-Bahnhof Ottobrunn.

Pfingsten sollen die Proteste offenbar nur im Ort Mittenwald, nicht aber in Hör- und Sichtweite der Adressaten zugelassen werden. Eine vom Arbeitskreis Distomo angemeldete Kundgebung am Hohen Brendten, auf der unter anderem der Europaabgeordnete Tobias Pflüger sprechen sollte, wurde vom Landratsamt Garmisch-Partenkirchen verboten. Lars Reissmann vom AK Distomo bestätigte am Dienstag gegenüber junge Welt, daß die Anmelder der Gedenkkundgebung einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht München gegen das Demonstrationsverbot gestellt haben.

* 26. und 27. Mai: Proteste gegen das Gebirgsjägertreffen in Mittenwald, mit Infozelt am Bahnhof, internationalem Hearing und Demonstration

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