»Ich kann diese Position nicht nachvollziehen«

Presse: junge Welt vom 25.10.2004

Interview

Sylvia-Yvonne Kaufmann (PDS) ist mit ihrem »Ja« zur EU-Verfassung in der linken Europa-Fraktion isoliert. Noch vor einem Jahr war sie dagegen. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger

Interview: Peter Wolter

* Tobias Pflüger ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen und Mitglied des Europaparlaments. Als Parteiloser kandidierte er zur Europawahl auf der Liste der PDS.

F: Ihre Frakionskollegin im Europaparlament, Sylvia-Yvonne Kaufmann (PDS), hat sich in der Tageszeitung Neues Deutschland für den Entwurf der Europaverfassung ausgesprochen. Ist das die Meinung Ihrer Fraktion?

Nein, die GUE/NGL (Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordisch Grüne Linke) hat jetzt bei einer Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments fast geschlossen gegen den Verfassungsvertrag gestimmt. Von den 41 Fraktionsmitgliedern enthielten sich zwei aus der italienischen PdCI, lediglich Sylvia-Yvonne Kaufmann war dafür.

F: Sie beruft sich im ND auf den DGB und den Europäischen Gewerkschaftsbund. Beide hätten in dem Entwurf Verbesserungen für die arbeitenden Menschen entdeckt. Haben Sie die auch gefunden?

Keineswegs. Die DGB-Führung und die Spitzen der Kirchen hatten zwar anfangs dem Entwurf zugestimmt. Aber nach der EU-Regierungskonferenz vom 17./18. Juni nimmt bei vielen Gewerkschafts- und Kirchenfunktionären die Skepsis gegenüber der jetzigen Fassung zu.

Das hat u.a. damit zu tun, daß »Erläuterungen« und »Protokolle« Bestandteil des Entwurfs geworden sind – wodurch das Dokument einen Umfang von 852 Seiten bekam. Und in bezug auf die Grundrechtscharta hat sich mit dem Beschluß der EU-Regierungschefs auch geändert, daß eine Reihe Grundrechte nur noch »minderjustitiable Grundsätze« sind. Die Skepsis in den Gewerkschaften wächst.

F: Wie steht DGB-Chef Michael Sommer dazu?

Es ist zu erwarten, daß er den Entwurf befürwortet, schließlich ist er demnächst auch wieder auf Wahlveranstaltungen der SPD in Schleswig-Holstein zu finden. Ich weiß aber, daß der Verfassungsentwurf in den Gewerkschaften debattiert wird. Ich habe kürzlich auf Einladung von ver.di und der IG BAU in Nürnberg über den Entwurf gesprochen und breite Unterstützung sowohl für meine Kritik als auch für meine Ablehnung gefunden.

F: Beim Münsteraner Parteitag der PDS hatte sich Frau Kaufmann noch vehement gegen die Beteiligung Deutschlands an militärischen UNO-Einsätzen ausgesprochen. Dieser Verfassungsentwurf erlaubt aber nicht nur derartige Einsätze, sondern sogar europäische Alleingänge. Wie erklären Sie den Sinneswandel?

Sie hat wohl ihre Position verändert. Interessant ist vor allem, daß sie noch am 5. und 13. Dezember 2003 erklärt hat, es müsse verhindert werden, daß die neoliberale Wirtschaftspolitik der EU per Verfassung weiter verfestigt wird, denn damit würde Sozialabbau in den Mitgliedsstaaten befördert. Und sie rief alle Friedens- und sozial engagierten Kräfte auf, sie sollten mehr Druck ausüben, um während der irischen Ratspräsidentschaft einer Kurskorrektur den Weg zu ebnen.

Insbesondere im Militärbereich ist der Entwurf problematisch. In Artikel I-41,3 steht z.B. die Aufrüstungsverpflichtung. In Artikel III-309 werden die Militäroptionen der EU beschrieben: Die sogenannten »Petersberg-Aufgaben« (»humanitäre Einsätze« bis hin zu Kampfeinsätzen) werden ergänzt durch sogenannte »Abrüstungskriege«, eine Wortschöpfung von Joseph Fischer, die er damals auf den Irakkrieg anwandte!

Das bedeutet, daß die EU oder ihre Einzelstaaten auch außerhalb des EU-Territoriums Krieg führen können wollen. Damit wird die Aussage aus der europäischen Sicherheitsstrategie übernommen: »Die erste Verteidigungslinie wird oftmals im Ausland liegen.« Ich kann Sylvia-Yvonne Kaufmanns Position überhaupt nicht nachvollziehen.

F: Wenn eine Parlamentarierin in entscheidenden Fragen so weit nach rechts driftet – welche Gemeinsamkeiten bleiben noch mit der Fraktion?

Mir persönlich ist es wichtiger, daß die Fraktion ansonsten geschlossen Nein zu diesem Verfassungsentwurf gesagt hat. Bis auf Sylvia-Yvonne Kaufmann haben sich auch alle PDS-Mitglieder dagegen ausgesprochen. Über ihr Verhältnis zu unserer Fraktion muß und wird sie letztlich selbst entscheiden.

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