Sitzen bleiben für mehr Gerechtigkeit

Pressebericht in: Schwäbisches Tagblatt, 8. Juni 2007

Tübinger Demonstranten erlebten die Straßenblockaden um Rostock-Laage als friedlich / Teilweise massive Polizei-Gewalt

TÜBINGEN / HEILIGENDAMM (gs). Um Heiligendamm hat sich die Lage entspannt – auch für die etwa 100 Tübinger, die nach der Großdemonstration vom Samstag in den Camps blieben. Friedlich und bunt seien die Blockaden der Zufahrtsstraßen verlaufen. Heike Hänsel und Tobias Pflüger äußern Kritik am Verhalten der Polizei.

Einmal musste sogar eine Polizistin lachen über die Clowns, die zwischen den Demonstranten und den Staatsdienern humorvoll deeskalierten: "Es war ein superfriedlicher Protest, der viel Spaß gemacht hat", erzählte Agnieszka Malczak gestern am Handy. Die 22-Jährige Tübinger Politikstudentin ist Landesvorsitzende der Grünen Jugend und hat die Blockaden zum G8-Gipfel selbst miterlebt. Weil die Polizisten sie auf den Straßen erwarteten, nahmen die G8-Kritiker einfach den Weg über die Felder und durch den Wald. Kilometerweit. Um dann stunden oder tagelang auf dem Asphalt zu sitzen. Gestern am späten Nachmittag gab es an zwei Straßen immer noch kein Durchkommen.

Fröhliche Entschlossenheit

Für die Organisatoren vom Bündnis Block G 8 hat Malczak nur lobende Worte: Eine mobile Volxküche hätten sie organisiert, Wasser und Toilettenpapier wurden ständig nachgeliefert. Einmal führte der Weg an einer Bahnstrecke entlang: "Da hätten Steine bereit gelegen", erzählt die junge Frau. Aber niemand bückte sich danach. Deutlich mehr als 10 000 Menschen waren nach Angaben des Block G 8-Pressesprechers Christoph Kleine an den Straßenblockaden beteiligt. Müde, aber euphorisch hörte er sich gestern an: "Die Leute waren von einer fröhlichen Entschlossenheit beseelt. Wir haben merklich Einfluss genommen", freute er sich. Reibungslos liefen die Proteste nicht überall. Mehrere Tübinger berichteten von einem oder zwei als Autonome verkleideten Polizisten, die andere Demonstranten aufgestachelt hätten. Die Tübinger Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Heike Hänsel bemängelt, dass die Demonstranten außerhalb des Zeltlagers stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind.

Sie hat selbst ein Camp (als Dauer-Demo für 800 Leute) bei Wichmannsdorf angemeldet – mit geschätzten 18- bis 19 000 Besuchern waren die beiden anderen Camps überlastet. Wegen der vielen Polizeikontrollen sei es schwierig, die Zeltstadt zu verlassen. An einem Blockade-Ort hätten die Beamten Lagerfeuer, die die Demonstranten wegen der nächtliche Kälte entzündet hatten, mit einem Wasserwerfer gelöscht. "Das ist eine Riesen-Provokation."^

Empört ist Hänsel auch über die gewaltsamen Übergriffe bei Admannshagen, wo die Polizei mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen G8-Gegner vorging. Diese hatten versucht, querfeldein eine Zufahrtsstraße zu erreichen. Der parteilose Tübinger Tobias Pflüger, der für die Linken im EU-Parlament sitzt, hat acht Bundeswehr-Panzer an Autobahnbrücken um den Flughafen Rostock-Laage entdeckt: "Da bin ich mal gespannt, wie sie das erklären wollen." Während des Telefon-Interviews versuchte er gerade, Personen-Käfige in Augenschein zu nehmen. Auf 25 Quadratmetern würden bis zu 20 Verdächtige über mehrere Stunden gefangen gehalten, hatten Anwälte ihm mitgeteilt. Das verstoße gegen internationales Recht. Sie seien nicht befugt, ihn vorzulassen, hörte Pflüger zunächst von den Beamten.

Andreas Linder vom Tübinger Anti-G8-Bündnis weiß von keinem Tübinger, der nach Samstag verletzt oder verhaftet wurde. In Reddelich hatten die meisten von ihnen ihre Zelte aufgeschlagen. "Fast nur nette Leute!" kommentierte ein 19-Jähriger G8-Blockierer das Umfeld. Vom kleinen Kind zum 60-Jährigen seien alle Altersklassen vertreten; viele Franzosen, Kanadier und Briten hat er getroffen. Wer nicht nur blockieren wollte, konnte bei den Aktionstagen Workshops zu Migration oder globaler Landwirtschaft besuchen.

Mini-Demo in Reutlingen

Bis gestern dauerte der dreitägige Alternativgipfel, an dem auch Hänsel und Pflüger sich mit Beiträgen beteiligten. "Das war informativ", kommentierte Naemi Nosgowi von der Esslinger Grünen Jugend ihren Bummel durchs Info-Zelt auf dem Rostocker Hafengelände. Allerdings hatte sie das Gefühl, dass die meisten Demonstranten lieber draußen auf den Zufahrtsstraßen blieben. Statt dessen hat sie Rostocker Bürger getroffen, die sich hier einen Überblick verschafften. Informationen über den Stand der Dinge gibt es diese Woche auch auf dem Tübinger Holzmarkt, wo die Linkspartei-nahe Organisation "Solid" über die Geschehnisse in Heiligendamm berichtet. Weil gestern wenig los war, fuhren die G8-Kritiker schon gegen 15 Uhr nach Reutlingen. Auch dort gab es eine Demo, klein und spontan zwar, da nur knapp 40 Leute kamen, aber nach Aussage einer Teilnehmerin wirksam: "Die Leute haben ganz schön gekuckt."

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