»...die Nato von heute ist eindeutig ein Kriegsführungsbündnis«

Rotdorn, 51. Ausgabe, 2/2009 - Auszug eines Rotdorn-Radiointerviews


Tobias Pflüger, Jahrgang 1965, studierte Politikwissenschaft und Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen. Seit den 80er Jahren ist er in der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung aktiv. 1996 gründete er die Informationsstelle Militarisierung mit (www.imi-online.de). Tobias Pflüger ist für die Linkspartei im Europäischen Parlament und gehört dem wissenschaftlichen Beirat von attac an. Mit dem Rotdorn sprach er über die Politik der Nato, die Situation im Afghanistan und über den Kapitalismus als Ursache von Kriegen.

Rotdorn: Vom ehemaligen dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen, der am 1. August das Amt des Natogeneralsekretärs antreten wird, stammt der Ausspruch, die NATO sei die erfolgreichste Friedensbewegung die die Welt je gesehen hat. Wie erfolgreich war bzw. ist die NATO um den Frieden in der Welt zu sichern?

Tobias Pflüger: Die Nato ist erfolgreich, aber nicht um den Frieden in der Welt zu sichern, sondern um Kriegspolitik zu betreiben. Derzeit sind Truppen der NATO in Afghanistan im Kampfeinsatz, die NATO ist ein Kriegsführungsbündnis. Und dass die Nato eine Friedensbewegung sei, ist nichts anderes als orwellscher
Neusprech. Die NATO steht für Krieg, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Pakistan, im Hintergrund auch
in Georgien. Es war ganz offensichtlich so, dass die Nato dort im Hintergrund eine wesentliche Rolle gespielt hat. Die Nato hatte ihren großen Einstand mit der Kriegspolitik 1999, als Jugoslawien völkerrechtswidrig mit aktiver Teilnahme Deutschlands angegriffen wurde. Insofern ist die Nato erfolgreich, aber nicht für den Frieden.

Rotdorn: Kann man davon sprechen, dass die Nato erfolgreich ist, wo doch zahlreiche Landstriche in Afghanistan
und Pakistan unter der Kontrolle der Taliban stehen? Zu Beginn des Afghanistan-Krieges wurde Hamid Karsai, der
Präsident Afghanistans, wegen seiner geringen Möglichkeiten auf das Geschehen in Afghanistan Einfluss zu nehmen,
oft scherzhaft als Bürgermeister von Kabul bezeichnet. Wie ist die Situation aktuell?


Tobias Pflüger: Die Situation in Afghanistan ist komplizierter, als dass bei uns häufig dargestellt wird. Es sind nicht
nur die Nato und die Taliban im Krieg. Es gibt sehr viele verschiedene Fraktionen, die sich auch untereinander im
Kriegszustand befinden. Was die Nato vor Ort macht ist Aufstandsbekämpfung. Das wird von der Nato auch ganz offen so bezeichnet. In den verschiedenen Regionen Afghanistans finden Aufstände gegen das Besatzungsregime der Nato statt und Hamid Karsai ist quasi das afghanische Gesicht des Besatzungsregimes der Nato. Die Situation in Afghanistan und zunehmend auch in der Grenzregion Pakistans ist vom täglichen Krieg geprägt. Die Nato-Truppen dort wirken nicht stabilisierend, nein im Gegenteil, sie sind mitten im Krieg.

Rotdorn: Gibt es Angaben über getötete Zivilisten?

Tobias Pflüger: Ein britischer Offizier der vor kurzem veröffentlichte wie viele Zivilisten von der Nato getötet wurden, ist sofort entlassen worden.

Rotdorn: Wie viele Tote waren das?

Tobias Pflüger: Der Offizier sprach davon, dass 2008 tausende Zivilisten umgekommen sind. Er leitete diese internen
Informationen der Nato an verschiedene Zeitungen weiter. Dann ist man gleich gegen ihn vorgegangen, damit die Öffentlichkeit nichts davon erfährt. Die Nato stellt ihre Arbeit in der Öffentlichkeit nicht korrekt dar. Ich bin Mitglied der Nato- Parlamentarierversammlung für meine Fraktion...

Rotdorn: ...bekommt man da genügend Informationen über die Nato...?

Tobias Pflüger: .....nicht wirklich. Wenn ich als Mitglied der Nato-Parlamentarierversammlung interne Dokumente
der Nato bekommen will, erhalte ich diese nicht. Für mich besteht, ebenso wenig wie für andere Menschen die Möglichkeit, derartige Dokumente zu erhalten. Ich habe nur die Informationsmöglichkeiten die allen anderen auch
offen stehen, wie z.B. das Internet.

Rotdorn: Was macht die Nato-Parlamentariergruppe dann eigentlich?!

Tobias Pflüger: Es werden hauptsächlich Reisen organisiert. Jedoch zweidrittel derjenigen, die mit auf Reisen
gehen, sind beim eigentlichen Treffen gar nicht anwesend. Alle Nato-Beitrittskandidaten und alle Mitgliedsländer
der sogenannten „Partnerschaft für den Frieden“, mit denen die Nato kooperiert sind in der Nato-Parlamentarierversammlung mit dabei. Dort trifft man Tadschiken, Mongolen, Menschen aus Mazedonien usw. Wenn so eine Tagung bsw. in Island stattfindet, dann haben diese Menschen nicht unbedingt das größte Interesse daran an den Debatten teilzunehmen.

Rotdorn: Was wurde von den tatsächlich Anwesenden thematisiert?

Tobias Pflüger: Was dort immer spannend ist in der Nato-Parlamentarierversammlung ist die sehr harte Auseinandersetzung zwischen russischen und westlichen Parlamentariern. In der letzten Zeit war diese Versammlung sehr von diesem neuen kalten Krieg geprägt, der mit dem Georgienkrieg seinen Höhepunkt
hatte. Insofern ist es ein spannendes Gremium, das allerdings über keinerlei Beschlussrecht verfügt.

Rotdorn: Im Artikel 1 des Nato-Vertrages ist zu lesen, dass die Nato sich jeder Gewaltanwendung
oder Gewaltandrohung enthält, die nicht mit den Zielen der UNO zu vereinbaren sind. Hält die Nato
sich an ihre eigene Charta?


Tobias Pflüger: Der Nato-Vertrag hat heute, so wie die Umsetzung geschieht, nichts mehr mit dem zu tun, was ursprünglich im Text steht. 1999, als die Nato Jugoslawien angegriffen hat, wurde dies ganz bewusst ohne ein Mandat der Vereinten Nationen getan. Insofern ist es ein eindeutiger Bruch der UN-Charta und des Völkerrechts gewesen. Die Nato hält sich selbst also nicht an ihre eigene Charta. Das ist sehr bezeichnend für ein Bündnis, das sich den Frieden auf der Welt offiziell auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das zeigt, die Nato von heute ist eindeutig ein Kriegsführungsbündnis, insofern steht in der Charta das eine, die Nato selbst macht das andere.

Rotdorn: Jetzt mal ganz allgemein gefragt: Worin siehst du die Ursachen für Kriege in der Welt?

Tobias Pflüger: Es sind die Interessenunterschiede. Es gibt auf dieser Welt Menschen, die für sich ein Leben organisiert haben, was auf Kosten anderer geht. Wenn man das im großen Maßstab betrachtet, sind dass die Staaten der westlichen Welt, die politische Verantwortung, wie es immer so schön heißt, haben. Diese Staaten setzen ihre Interessen um und wenn sie es für notwendig erachten eben auch brutal. Die Ursache von Kriegen und Konflikten sind in Interessenunterschieden zu suchen. In den verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr von 1992 steht, dass die Sicherung von Rohstoffen durch die Bundeswehr gesichert werden soll. Das
ist inzwischen realisiert. Z.B. der angeblich gegen Piraten geführte Einsatz der Bundeswehr vor der Küste Somalias ist dazu da, um die Rohstoffzufuhr aus diesem Gebiet militärisch abzusichern.

Rotdorn: Siehst du einen Zusammenhang zwischen kapitalistischen Gesellschaftsordnungen, Krieg und der Nato?

Tobias Pflüger: Eine ganz wesentliche Ursache für Kriege und Konflikte ist die Form in der die Wirtschaft organisiert ist. Innerhalb der westlichen Staaten haben wir ein kapitalistisches System, das eindeutig so ausgerichtet ist, dass es gegen die Ärmeren innerhalb dieser Gesellschaft geht. Und global gesehen
auf Kosten der Menschen, die im Süden der Welt leben. Es geht natürlich darum, dass kapitalistische System militärisch abzusichern, und dafür ist die Nato quasi das Symbol. Die Nato steht für westliche Interessenpolitik, die mit brutalen kriegerischen Mitteln durchgesetzt wird. Deshalb ist es auch so wichtig die Nato als das zu entlarven, was sie ist: Nämlich ein Kriegsführungsbündnis. Die Ursachen für Kriege sind offensichtlich: Kapitalismus und Krieg sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn man gegen Kriegspolitik agiert, muss man auch deutlich machen, was hinter Kriegen steht: Nämlich die militärische Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen.

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