Gemischte Abschieds-Gefühle

Der Politologe Tobias Pflüger ist seit gestern wieder Privatmann

in: Schwäbisches Tagblatt, 15.07.2009

Gestern konstituierte sich in Straßburg das neue EU-Parlament. Tobias Pflüger (Linke) ist damit kein Europaabgeordneter mehr. Was er künftig macht, weiß er noch nicht.

von RENATE ANGSTMANN-KOCH

Tübingen. Formal endete die Amtszeit des 44-jährigen Politologen am Montag um Mitternacht. Tobias Pflüger war eine Wahlperiode, also fünf Jahre lang Europa-Abgeordneter. Der Initiator der Tübinger Informationsstelle Militarisierung hatte als Parteiloser auf der PDS-Liste kandidiert und war später der Linkspartei beigetreten. Bei der Europawahl am 7. Juni kandidierte er erneut, verpasste jedoch auf Platz zehn der Europaliste der Linken den Wiedereinzug ins Parlament. Trotzdem half das bisherige Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten mit, die künftige Fraktionsarbeit zu organisieren – schon allein, weil er seinen Fachbereich gut weitergeführt sehen will.

„Es ist ein völlig verrücktes Doppelgefühl“, bekannte der Politologe gestern auf telefonische Nachfrage. „Einerseits fühle ich mich wieder frei, andererseits habe ich eine Reihe von Möglichkeiten nicht mehr, die ich als Abgeordneter hatte.“

Den Übergang in den nicht-parlamentarischen Alltag hatte sich Pflüger allerdings stressfreier vorgestellt. Das hängt damit zusammen, dass nach wie vor ein Verfahren wegen angeblicher Beamtenbeleidigung bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2005 gegen ihn anhängig ist. Das Amtsgericht München hat ihn im März zu 60 Tagessätzen zu je 200 Euro verurteilt – 12 000 Euro insgesamt, wobei die Richterin auf Pflügers Vorbildfunktion als Europaabgeordneter abhob. Pflügerging in Berufung. Nun will das Gericht bereits am Dienstag nächster Woche das Verfahren eröffnen. „Das Gericht hat mit Hinweis auf meinen Abgeordnetenstatus ein Sonderstrafrecht für mich gefordert – eindeutig ein Fall, in dem der Immunitätsschutz greift“, * ist für Pflüger klar. Er hat bei der Plenartagung am 7. Mai einen entsprechenden Antrag gestellt, doch derzeit hat das Parlament noch keinen Rechtsausschuss, der über ihn befinden könnte. Vermutlich wird Pflüger jedoch bestätigt bekommen, dass er für die Dauer seines Mandats Immunität genießt.

Wie es langfristig für ihn weitergeht, weiß der Politologe noch nicht. Er bekommt für fünf Monate Übergangsgeld, möglicherweise wird er parlamentarischer Berater der Fraktion. Auf jeden Fall will der frühere Anti-Atom- und Friedensaktivist in seinem Themenbereich weiterarbeiten, sich also weiter friedenspolitisch engagieren. Deshalb freut er sich, eine Reihe von Einladungen als Redner zum Antikriegstag erhalten zu haben – zum Teil ausdrücklich mit dem Hinweis, auch ohne EU-Mandat willkommen zu sein.

* Die Staatsanwaltschaft hat wie meine Anwältin und ich Berufung gegen das Urteil eingelegt. Ihre begründung war, weil ihnen das Strafmass zu gering war. Dies mit dem expliziten Verweis, dass das Urteil hätte höher ausfallen müssen, da ich Europaabgeordneter gewesen bin. Somit müßte es "Staatsanwaltschaft" statt "Gericht" heißen.

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