Gegen »Piraterie des Kapitals« - VVN-BdA-Bundeskongreß: Konsequenter Antifaschismus aktueller denn je

Pressebericht in: junge Welt - 30.05.05 - Hans-Gerd Öfinger

»Von dem stark überalterten Verband gingen kaum noch außenwirksame Aktivitäten aus«. So beschreibt der Verfassungsschutz die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA). Am Wochenende tagte der Bundeskongreß der Organisation in Frankfurt am Main und präsentierte sich als lebendiger, aktionsfähiger und entschlossener Verband, dessen Aufgaben sich 60 Jahre nach dem Ende des faschistischen Deutschland als aktueller denn je erweisen.

Cornelia Kerth, Mitglied im alten Geschäftsführenden Vorstand, zog eine positive Bilanz. Nach der Vereinigung der beiden Verbände aus Ost und West im Jahre 2002 sei die Außenwirksamkeit gesteigert worden. So habe die neue Ausstellung über »Neofaschismus in Deutschland« bereits kurz nach ihrem Start ein starkes Echo gefunden und sei derzeit mit neun Exemplaren in Umlauf. Rüstige »Neunziger« und VVN-BdA-Aktivisten wie Kurt Julius Goldstein, Peter Gingold und Hans Lauter hätten als Zeitzeugen gerade in den vergangenen Wochen auf zahlreichen Veranstaltungen gesprochen und seien auch für die kommenden Monate »ausgebucht«. Sie waren es auch, die in engagierten Redebeiträgen dem Kongreß ihren Stempel aufdrückten. So herrschte gespannte Stille im Saal, als der Leipziger Hans Lauter daran erinnerte, daß er auf den Tag genau vor 70 Jahren als junger Kommunist vom Naziregime verhaftet worden war und erst 1945 wieder in Freiheit kam. Er sei in den letzten Wochen über 60mal als Zeitzeuge in sächsischen Schulen aufgetreten und werde sich weiter zur Verfügung stellen, um die »Geschichte jugendbezogen darzustellen und von Fragen auszugehen, wie sie die Jugendlichen heute stellen«.

Daß dem Verband trotz eines hohen Durchschnittsalters die Aufgaben nicht ausgehen, unterstrich auch der Stuttgarter Werner Pfennig, der am Sonntag neben dem Berliner Heinrich Fink zum gleichberechtigten Vorsitzenden gewählt wurde. Die Zielsetzung der Neonazis, das »Gleichheitsdenken zu zertrümmern« und Antifaschismus mitsamt Gedenkstätten aus Deutschland zu verbannen, unterstreiche ebenso die Notwendigkeit eines organisierten Antifaschismus wie die real rund 16.000 rechtsextremen Straftaten des vergangenen Jahres wie auch die 120 Todesopfer infolge neofaschistischer Gewalt, so Pfennig. Er begründete die Ablehnung des Entwurfs einer EU-Verfassung, weil diese im Gegensatz zum Grundgesetz explizit auf Neoliberalismus und Kapitalismus verpflichtet sei und eine Militarisierung fördere. Der parteilose Europaabgeordnete Tobias Pflüger bezeichnete die vom Europäischen Parlament in einer Resolution zum 8. Mai vorgenommene Gleichsetzung der Sowjetunion mit dem faschistischen Deutschland als »ekelhaft«. Der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr erinnerte daran, daß 150000 KPD-Mitglieder politisch Verfolgte des Naziregimes waren und 28000 von ihnen ihr Engagement mit dem Leben bezahlt hätten.

Ein politisches »Highlight« der Tagung bildete der Vortrag des ehemaligen Leiters der IG-Metall-Zentralbibliothek, Peter Scherer, über den »neuen Absolutismus des Kapitals und die faschistische Gefahr«. Eine Wiederkehr einer faschistischen Diktatur vom Typus der deutschen zwischen 1933 und 1945 sei auf Generationen hinaus nicht möglich. Das Kapital sei noch nie so mächtig gewesen wie heute und setzte nun als Programm die Rücknahme aller Zugeständnisse und die Privatisierung aller Werte, die Profit versprechen, auf die Tagesordnung. Nirgendwo auf der Welt gebe es derzeit Arbeiterparteien, die der Herrschaft des Finanzkapitals gefährlich werden könnten. Wo es aber keine revolutionäre Bewegung gebe, da gebe es auch keinen Boden für eine konterrevolutionäre Diktatur. Insofern drohe heute nicht ein zweiter Hitlerismus, sondern die Piraterie des Kapitals und ein gewaltiger Lohnabbau. Angesichts verschärfter Angriffe auf die Gewerkschaften unter einer Regierung Merkel/Westerwelle rechnet Scherer allerdings auch mit wachsendem Widerstand.

Scherer löste mit seinen Denkanstößen eine engagierte Debatte aus. Während Heinrich Fink feststellte, daß Scherer »uns aus dem Herzen gesprochen« habe, lag einem anderen Delegierten Scherers These »schwer im Magen«, daß eine Wiederholung von 1933 heute ausgeschlossen sei. Diese Debatte soll nun auch Gegenstand von Wochenendseminaren sein.

Die Frage einer gemeinsamen Linkskandidatur für die anstehenden Bundestagswahlen spielte auf dem Kongreß eine Rolle und wurde von mehreren Rednern positiv aufgegriffen. Der Frankfurter Gewerkschafter Jürgen Hinzer sammelte zahlreiche Unterschriften von Delegierten für einen gemeinsamen Appell der ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Hansen, Manfred Coppik und Erich Meinecke an PDS und WASG für das Zustandekommen einer solchen gemeinsamen Kandidatur und verwies darauf, daß dieser Appell auch an seiner gewerkschaftlichen Basis starken Rückhalt finde.

Trackback URL:
https://tobiaspflueger.twoday.net/stories/750534/modTrackback

logo
tobias pflueger DieLinke_RGB


Startseite
Über mich
Kontakt

Suche

 

RSS-Feed: Informationsstelle Militarisierung

Kundgebung gegen Preisverleihung an Prof. Klaus Gestwa
Mittwoch, 15.5.2024, 16:30, Pfleghofstraße Ausgerechnet...
IMI - 2024/05/14 16:11
Aufrüstung unter dem Stern desSchengen-Beitritts
————————————–...
IMI - 2024/05/02 16:01
Aufrüstung und Grenzgewalt unter dem Stern des bulgarischen Schengen-Beitritts
Die türkisch-bulgarische Grenze gilt unter Nichtregierungsorganisatio nen...
IMI - 2024/05/02 13:57
Klaus Gestwa: Kein Wissenschaftspreis für Kriegspropaganda!
— Einer der vehementesten Fürsprecher für Waffenlieferungen...
IMI - 2024/04/30 11:07
Warnung vor einer Senkung der Hemmschwelle durch den Einsatz...
Expert:innen im Bereich unbemenschter Systeme fordern,...
IMI - 2024/04/29 09:55

Archiv

Status

Online seit 7186 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2013/01/26 00:43

User Status

Du bist nicht angemeldet.