Keiner glaubt an ein Scheitern - Doch die WASG-Basis diskutiert noch heftig über das Bündnis / SPD-Linke will mehr soziales Profil

Pressebericht in: Schwäbisches Tagblatt - 15.06.2005 - Volker Rekittke

TÜBINGEN. Noch ist das Linksbündnis zwischen PDS und der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) nicht geschmiedet. Noch wird heftig gerungen, auch in der Region. Dabei geht es oft weniger um Inhalte als um einen Namen und die Strukturen. Derweil bemühen sich Teile der SPD, das Ausfransen ihres linken Randes zu verhindern. „Wir müssen jetzt ein deutliches Signal setzen“, fordert die Tübinger Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid.

Wie stark sich das neue Linksbündnis wird etablieren können, hängt für Rita Haller-Haid vor allem davon ab, „wohin die SPD jetzt steuert“. Dass es überhaupt soweit kommen konnte, hat für die Parteilinke mit sozialen Ungerechtigkeiten in den HartzIV-Gesetzen zu tun, aber auch mit der „fast schon diktatorischen Art, wie die Agenda 2010 der Partei von Oben aufgedrückt wurde“. Haller-Haid erwartet von dem Wahlmanifest, an dem die Genossen derzeit basteln, vor allem diese Botschaft: „Wir haben das jetzt kapiert und werden umsteuern.“ Nach dem Verlust fast aller Bundesländer an die Union – und einem Viertel der Mitglieder – rät Haller-Haid ihrer Partei dringend, „dass da nicht nur Sprechblasen drin stehen“.

Derzeit hält sich die Landtagsabgeordnete mit ihrer Fraktion zur Klausur in Berlin auf. „Viele wollen wissen, was in dem Wahlmanifest steht“, beschreibt sie die Stimmung unter den Abgeordneten. Doch das Papier soll der Partei erst am 27. Juni vorgestellt und bereits am 4. Juli auf einem kleinen Parteitag verabschiedet werden. Für die Parteibasis, befürchtet Haller-Haid, bleibe da kaum Zeit zu diskutieren. Das Problem: „Wer sich im Manifest nicht wiederfindet, lässt sich hinterher auch nicht für den Wahlkampf mobilisieren.“

„Man darf die WASG politisch nicht überbewerten“, findet der SPD-Kreisvorsitzende Martin Rosemann. Zwar habe es wegen der Agenda 2010 auch in Tübingen Parteiaustritte gegeben, doch sei keiner der Kritiker zur WASG gewechselt. Rosemann warnt vor einem radikalen Kurswechsel seiner Partei: „Bloß keine Schnellschüsse!“ Größere Änderungen bei HartzIV sind seiner Meinung nach derzeit nicht notwendig: „Wir sollten abwarten, bis genauere Ergebnisse da sind“.

Sie wolle sich nicht an „Spekulationen“ über mögliche Folgen für die SPD beteiligen, sagte gestern die Tübinger Bundestagsabgeordnete Herta Däubler-Gmelin. Zum geplanten Zusammengehen von PDS und WASG war ihr nur so viel zu entlocken: „Das ist ein freies Land.“

„Ein klares Votum gegen Militäreinsätze“ fordert Tobias Pflüger von dem neuen Linksbündnis. „Aber bislang wurde ja kaum über gemeinsame Inhalte diskutiert“, so der parteilose Tübinger Europaabgeordnete, der auf PDS-Ticket nach Brüssel zog. Im Gegensatz zur PDS sei die WASG „programmatisch noch nicht gefestigt“. Das Bündnis sollte nach Pflügers Ansicht nicht nur aus PDS und WASG bestehen, sondern auch Menschen aus den sozialen Bewegungen – etwa aus antirassistischen Gruppen, Friedensbewegung oder dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac – einbeziehen.

Eine Vorstellung, die der Tübinger PDS-Landessprecher Bernhard Strasdeit symphatisch findet: Auf einer offenen Liste könnten neben WASG-Kandidaten auch Parteilose, etwa von Attac, kandidieren. Trotz der derzeitigen Namens-Querelen, trotz der bei Teilen der Basis verbreiteten Skepsis – die Tübinger WASG hatte am vergangenen Mittwoch (wie berichtet) gegen die Kooperation votiert – glaubt er an eine Einigung beider Seiten: Bei der sozialen Frage und beim Antimilitarismus gebe es „ausreichend Gemeinsamkeiten“. Sorgen bereitet ihm vor allem eines: „Es wird zeitlich eng.“

Auch die WASG-Landessprecherin Claudia Mrosek aus Kirchentellinsfurt ist sicher, dass beide Parteien sich einigen werden – auch wenn nach wie vor ein Riss durch die WASG gehe. Mrosek: „Die Basis diskutiert.“ Und nicht nur die. Auch von Nichtmitgliedern kämen viele E-Mails: „Da draußen warten eine ganze Menge Leute, dass wir dieses Bündnis machen.“ Sollte das nicht klappen und deshalb weder PDS noch WASG der Einzug ins Parlament gelingen, befürchtet sie, dass es die SPD in der Opposition wieder schaffen könnte, sich „einen sozialen Anstrich zu geben“. Doch auch innerhalb ihrer Partei, so Mrosek, scheine sich die Stimmung langsam zu verändern: „Es kommt ein gewisser Pragmatismus auf.“

Der Tübinger WASG-Kreisvorsitzende und Einigungskritiker Rüdiger Nierlein wünscht sich zwar ebenfalls „ein breites Bündnis gegen die neoliberale Politik“ von Rot-Grün wie von Schwarz-Gelb. Doch Nierlein findet das Tempo des Zusammenschlusses zu hoch und vor allem: „Vor den Strukturen sollten wir erst mal die gemeinsamen Inhalte klären.“ Viele Leute an der Basis, die eigentlich für das Bündnis seien, fühlten sich von den Beschlüssen der WASG-Gremien überrollt – am Sonntag hatten in Kassel die Bundesvorstände, Landesräte und Vorstände einem Wahlbündnis mit der PDS grundsätzlich zugestimmt. Trotzdem glaubt Nierlein nicht an ein Platzen der Gespräche: „Das hat längst eine Eigendynamik entwickelt.“

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